Das Vermächtnis des Martí Barbany
plötzlich aus den weiten Ärmelöffnungen seines violetten Obergewands auftauchten, und lief eilig zu dem Geistlichen.
»Mein guter Freund! Warum habt Ihr mir Eure unersetzliche Gesellschaft so lange vorenthalten? Meidet etwa auch Ihr die alten Freunde wegen ihres Glaubens?«
Die beiden Männer waren in der Mitte des Zimmers zusammengetroffen und nahmen einander mit echter Zuneigung, wie Martí feststellen konnte, an den Händen. Der Gegensatz, den die beiden darstellten, war unverkennbar.
»Durchaus nicht. Es ist nur so, dass die Tage aufeinanderfolgen, ohne dass man es merkt, und die Arbeit erdrückt uns dermaßen, dass uns die Zeit fehlt, die wir unseren Freundschaften widmen könnten. Ihr wisst ja,
nichts gefällt mir besser, als mit Euer Gnaden in einer Sommernacht ein Streitgespräch zu führen und dabei auf Eurer unvergleichlich schönen Terrasse Euren ausgezeichneten Wein zu trinken.«
»Darin übertreffen wir die Mohammedaner, deren Koran die vergorenen Getränke verbietet. Und ich sage Euch das Gleiche: Es ist schwer, einen Gegner nach Eurem Maß zu finden, um über erhabene Themen zu debattieren. Wenn einem das gelingt, ist es göttlicher Nektar für den Verstand, selbst wenn die Sache unentschieden ausgeht. Trotzdem beneide ich Euer Zölibat: Eine Ehefrau und drei Töchter, die eine Wiederverkörperung Liliths sind und gegen mich verschworen scheinen, kosten mich viel von meiner Zeit. Glaubt mir: Als man mir Euren Besuch angekündigt hat, hatte ich gerade ein ernsthaftes häusliches Problem. Meine kleine Tochter ist ein Wirbelwind, und die Mutter schlägt sich unfehlbar auf ihre Seite und stellt meine Autorität infrage. Selbst Hiobs Geduld musste wohl Grenzen haben! Manchmal fühle ich mich in meinem eigenen Haus in die Enge getrieben... Aber verzeiht mir diese Abschweifung. Stellt mich bitte Eurem jungen Freund vor und setzt Euch. Welch schlechten Eindruck muss heute meine Gastfreundschaft bei ihm machen.«
»Gut. Tretet näher, Martí.«
Der junge Mann ging sogleich zu den beiden, die in der Zimmermitte standen. Der Priester fasste ihn liebevoll an der rechten Schulter und stellte ihn vor: »Martí Barbany, der Sohn Guillem Barbanys von Gorb. So viel ich weiß, verwahrt Ihr sein Testament.«
Der alte Jude nahm die rechte Hand des jungen Mannes und musterte eindringlich sein Gesicht, wobei er die pfiffigen Äuglein zusammenkniff, als wollte er besser sehen.
»Bei den gesegneten Namen Adonais! Man hat mir viele Testamente anvertraut, und ich kann sie nicht alle im Gedächtnis behalten. Das Eures Vaters war indes so einzigartig, dass es mit feurigen Lettern in meinen Erinnerungen eingeprägt blieb. Aber macht es Euch bequem. Ich ahne, dass sich unser heutiges Gespräch ungewöhnlich in die Länge ziehen kann.«
Baruch setzte sich auf den Amtsstuhl hinter dem Tisch, verschränkte die Arme, verbarg die kleinen Hände in den Ärmelöffnungen und schloss halb die Augen wie jemand, der sich mühsam an etwas erinnern will.
Martí konnte sich kaum beherrschen, denn er wusste, dass seine Zukunft in vielem von den Worten dieses Mannes abhing.
»Mein Freund, Ihr sollt erfahren, dass ich mich lebhaft an jenen Nachmittag erinnere. Es regnete in Strömen, aus den Traufröhren ergoss sich Wasser, das breite Rinnen in die Erde grub und riesige Pfützen bildete. Die Leute suchten Schutz in ihren Häusern, und mich erstaunte es, dass bei einer solchen Sintflut jemand seinen Besuch ankündigte, und das teilte ich ihm mit. Dann fragte ich Euren Vater, warum er gerade mich ausgewählt hatte. Er war ein Goi , und ich hielt es für sonderbar, dass er sich an einen bescheidenen Dayan im Call von Barcelona wandte, vor allem in solcher Eile, anstatt für das, was er brauchte, einen Amtsschreiber der Stadt aufzusuchen. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn er einen ärztlichen Rat gewollt hätte, denn die hebräischen Ärzte sind ja weitberühmt, und sogar der Graf nimmt unsere Dienste in Anspruch. Seine Antwort klingt mir noch immer in den Ohren, als hätte ich sie erst gestern gehört.
Auf meine erste Frage antwortete er: ›Ich bin Soldat, ich halte mich hier nur kurz auf, mir fehlt die Zeit, und ich möchte nicht, dass der mit meinem Blut gewonnene Ertrag meiner Dienstjahre an der Grenze in die Hand eines unehrlichen Schreibers gerät. Nicht nur die jüdischen Ärzte sind besser. Denn ich weiß zwar, wie viel Mühe eine Übereinkunft mit Angehörigen Eurer Rasse kosten kann, doch mir ist klar, wie ernsthaft sie
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