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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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wusste ich, dass etwas sehr Mächtiges zwischen uns begann. Sag also, was soll ich tun?«
    »Auch ich glaube Euch, und ich muss Euch sagen, dass ich es wusste, bevor ich Euch kennengelernt habe.«
    Da ihn der Graf fragend ansah, setzte der Zwerg hinzu: »Es würde viel Zeit und Mühe kosten, dies jetzt zu erklären. Heute Nacht müssen noch viele Fragen beantwortet werden.«
    Ramón sah, dass der Kleine zu einer Wand des Zimmers lief. Dort betastete er mit seinen geschickten Fingern einen Mauervorsprung und drückte auf das Akanthusblatt einer reich verzierten Blumenrosette. Der Graf beobachtete erstaunt, wie ein Wandfeld zur Seite glitt, und vor ihm öffnete sich ein tiefes dunkles Loch. Der Zwerg nahm den Kandelaber vom Tisch in der Mitte, und was er sagte, klang eher wie ein Befehl: »Folgt mir, Herr!«

10
    Baruch Benvenist
    Barcelona, Mai 1052
     
    S eit uralten Zeiten lebten die Juden der katalanischen Grafschaften aus vielen Gründen von den Christen getrennt. Einerseits entsprach es den kategorischen Anweisungen der Kirche: Man musste sich vor allem hüten, was den wahren Glauben verunreinigen konnte. Zusätzlich bot es eine sehr praktische Möglichkeit, auf diese Weise den Übergriffen des Pöbels vorzubeugen: Wenn man keinen anderen Sündenbock hatte, dem man alles mögliche Unglück anlasten konnte (ob es sich nun um eine Pestepidemie, eine Heuschreckenplage oder eine Naturkatastrophe, wie etwa eine Dürre, handelte), durfte man immer noch die Juden beschuldigen. Wenn man andererseits berücksichtigte, dass gerade die Juden dem Grafen wertvolle Dienste als Geldverleiher, Steuereinnehmer oder Ärzte leisteten, war es mehr als gerechtfertigt, sie zu beschützen, und man konnte diese Aufgabe weitaus leichter erfüllen, wenn man sie in einem eigenen Viertel, das sich überwachen ließ, zusammenholte.
    Zu den genannten Umständen kamen andere hinzu, die sich der Eigenart des hebräischen Volkes zuschreiben ließen: Diese Leute lebten lieber für sich allein, sie hatten eine andere Religion und andere Sitten, und sie wussten, dass die Christen sie beschuldigten, ihren Gott gekreuzigt zu haben, und das hatte ihr Verhältnis zu ihnen geprägt. Außerdem wollten sie ihrerseits die eigenen Traditionen auf keinen Fall beeinträchtigen, indem sie mit jenen, die sie als Ungläubige ansahen, Umgang hatten, abgesehen von geschäftlichen Angelegenheiten. Ihr gesellschaftlicher Verkehr beschränkte sich ganz auf die eigene Gemeinschaft: Sie heirateten untereinander, wie es ihrem Ritual entsprach, sie hatten ihre Synagogen, Pfandhäuser und Mizwot , und ihre Speisen mussten selbstverständlich
nach den koscheren Vorschriften verzehrt werden. All das trug dazu bei, dass sie von engen brüderlichen Banden vereint waren und dass sich jeder Fremde vergebens bemühte, wenn er sich an ihren Geschäften oder Tätigkeiten beteiligen wollte. Die Viertel, wo sie in allen katalanischen Gebieten zwangsweise lebten, hatten den Namen Call erhalten. Man betrat das Call von Barcelona durch das Tor am Castellnou, das aus diesem Grund auch Call -Tor hieß.
    Am Freitag nach ihrem ersten morgendlichen Treffen lief Martí Barbany zusammen mit Pater Llobet von seiner Unterkunft zum Eingang des Call , das zu dieser Zeit eine überschäumende Geschäftigkeit zeigte. Das Haus, das sich in der am besten gepflegten Straße befand, war ein massives Gebäude nach Art der herrschaftlichen Residenzen der Christen.
    Es bestand aus zwei unterschiedlich hohen Teilen. Die Tür des Hauptflügels war ein mit unregelmäßigen Bruchsteinen verzierter Rundbogen, und am ersten Stockwerk konnte man zwei Gruppen von vier großen Doppelfenstern mit Bleiglasscheiben sehen. Sie wiederholten sich in einer einzigen Gruppe am zweiten Stockwerk. Darauf folgte der Dachboden, der nur drei breite Luken als Öffnungen hatte. Das Pultdach war mit Hohlziegeln gedeckt. Der rechte Flügel, der offenbar für die Dienerschaft des Hauses bestimmt war, hatte eine Tür, die zu einem Innenhof führte. An dessen hinterem Rand befanden sich die Ställe. Am oberen Gebäudeteil sah man eine weitere, weniger prächtige Fenstergruppe und darüber eine Galerie mit sieben Öffnungen, deren acht Säulen ein ebenfalls aus Hohlziegeln bestehendes Vordach trugen. Alle Zugänge zu den Fahrzeugen oder Frachtwagen waren von Ecksteinen geschützt, um zu verhindern, dass die Wagenräder den Sockel beschädigten.
    Martí und der riesenhafte Geistliche liefen zum Haupteingang, zogen an der Kette der

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