Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
Vom Netzwerk:
dem Tag vergehen muss, da sich Deine Augen auf diesen Brief richten werden, der außerdem zu meinem Testament gehört. Deshalb ist es mein Wunsch und Wille, dass ausnahmslos all seine Bestimmungen eingehalten werden. Das heißt, dass meine Erdentage den Weg gegangen sind, der uns allen vorgezeichnet ist, denn etwas sagt mir, dass die Schläge meines Herzens bald ihr Ende finden werden.
    Dir bleiben gewiss nur wenige Erinnerungen an mich, denn die Umstände haben dazu geführt, dass Ihr, Deine Mutter und Du, Euch nur bei seltenen Gelegenheiten meiner Gesellschaft erfreuen durftet. Doch die Zeit eines Mannes ist knapp bemessen, und er kann zwei Aufgaben schlecht erfüllen, wenn sich beide überlagern und einander zuweilen sogar widersprechen. Ich musste mich entscheiden, ob ich im behaglichen Heim und im Kreis meiner
Lieben ein ruhiges Leben genießen oder aber den Verpflichtungen nachkommen sollte, die mir meine Ehre als Vasall auferlegte, um zu erfüllen, wozu sich meine Vorfahren bereit erklärt hatten, und ich wählte das Zweite. Du magst glauben, dass ich mich geirrt habe, das ist möglich, aber mich zwang eine innere Macht, so zu handeln. Man wird Dir auch sagen, ich sei ein Söldner gewesen, und die Streifzüge an der Grenze hätten mir gefallen. Kein vernünftiger Mensch, der den Krieg erlebt hat, wird so etwas behaupten: Der Krieg ist etwas Furchtbares, und die Schreie und Jammerlaute, die man auf einem Schlachtfeld hört, rauben den Unglücklichen, die sie vernehmen, Schlaf und Ruhe, und sie verfolgen und peinigen sie zeitlebens. Dein Urgroßvater verpflichtete sich dem Grafen Ramón Borrell gegenüber zu einem Convenientia -Vertrag, und das tat er in seinem Namen und in dem seiner Nachkommen, sodass ich diesen Dienst leisten musste, den mein Vater und der Vater meines Vaters schon früher übernommen hatten, bis die Zeit oder eine Kriegsverwundung eine Fortsetzung verhinderte, und das unter der Bedingung, dass der älteste Sohn an dessen Stelle treten würde, wenn er das Erwachsenenalter erreichte. Dafür erhielt unsere Familie die Erlaubnis, ein Stück Land urbar zu machen, das ihr im Bezirk Empúries als Ausgleich übergeben wurde und das sie im Lauf der Jahre zu ihrem Eigentum machte. Wie Du Dir denken kannst, geht es um die Güter, auf denen Du bei Deinem Großvater bis zu seinem Tod und unter der Obhut Deiner Mutter aufgewachsen bist. Ich musste den widerwärtigsten Teil der Geschichte auf mich nehmen. Ich ließ mir Deine Kindheit entgehen und gab der Familie Deiner Mutter recht, die stets von mir dachte, dass ihre Tochter einen verantwortungslosen Kerl geheiratet hätte, dem Ritte im Grenzland lieber seien als die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten: Das war mein Leben, auch wenn es mir nicht gefiel und passte – beim wahrhaftigen Gott! -, vielmehr geschah es um meiner Ehre willen und zum Wohl meiner Angehörigen.
    Nun denn, Martí, mein Sohn! Jetzt wirst Du verstehen, warum ich nicht das war, was man von mir behauptet und was die Grenzkrieger gewöhnlich sind. Obwohl der Krieg schrecklich ist, wie ich Dir gesagt habe, hat er ebenso wie Piraterie oder Kaperei einen eigentümlichen Reiz, der die Leichtgläubigen blendet, denn sie glauben, die Toten auf dem Schlachtfeld seien jetzt und zukünftig die anderen, während sie selbst stets überleben würden. Ein grober Irrtum: Der Schmied stellt früher oder später den Pfeil oder Wurfspieß her, der den Namen eines von uns an seinem Schaft trägt, und dann, wenn das Geschoss und der Mann aufeinandertreffen, bleibt ihr Schicksal für immer vereint. Der Blutrausch, der Siegestaumel, die Demütigung des Besiegten,
die Plünderung seiner Habseligkeiten, die Vergewaltigung seiner Frauen und Töchter und das Geld, das jedem bei der Beuteverteilung zufällt, sind der vorläufige Siegerpreis, der kurze Zeit danach bei Gelagen, wie sie für Soldaten üblich sind, in nichts zerrinnt: mit Wein, Weibern und Spielen... Dann dreht sich das Glücksrad weiter. Ich will Dir nichts von den Strafen erzählen, die man nach einer Schlacht auferlegt, wenn ein Schlaukopf die Zahlmeister des Grafen betrügen will und etwas stiehlt: Sie suchen unter den Panzerhemden, in den versteckten Winkeln der Sturmhauben, unter den Helmen oder hinter den Mund- und Augengittern nach irgendeinem Raub, von dem ein Leichtsinniger glauben mochte, dass er unbemerkt bliebe. Und wenn sie jemanden ertappen, der vor der allgemeinen Verteilung etwas für sich zurückbehalten wollte, hängen sie ihn

Weitere Kostenlose Bücher