Das Vermächtnis des Martí Barbany
drohte, als wäre sie ein zerbrochenes Spielzeug. Die Galeere stieß den Bug ins Meer, und ohne dass sie Zeit hatte, sich zu erholen, wurde sie vom nächsten Anprall der Wogen hinweggefegt. Der Kapitän, ein Veteran, der aus diesen Gegenden stammte, beschattete mit der rechten Hand die Augen, um sie vor den Meer- und Regenwasserspritzern zu schützen, und suchte, wenn sich der Himmel kurz erhellte, die Küste nach der Einfahrt in eine schützende Bucht ab. Schließlich sagte ihm sein Instinkt, dass er über das Kap hinausgelangt war, denn die Wucht der Wellen ließ augenblicklich nach und das Spantenwerk des Schiffs knirschte weniger laut. Alle Blicke der Seeleute richteten sich erleichtert und dankbar auf das Achterkastell und den Mann, der ihnen gerade das Leben gerettet hatte. Das galt noch mehr für die Galeerensklaven, die mit einem Fußknöchel an ihre Bank angekettet waren und genau wussten, dass ihr Schicksal unausweichlich mit dem des Schiffes vereint war. Nun fuhren sie in die Bucht hinein. Der Kapitän hatte schon erkannt, dass es die Cala Montjoi war. Sobald sie sich in ihrem Schutz befanden, befahl er Fahrt voraus und steuerte das Schiff so, dass es sich mit dem Bug zur Ausfahrt befand. Dann kommandierte er »Ruder auf!«, während der Bugmann zugleich den Anker auswarf und genug Kette laufen ließ, damit die Ankerklauen im Schlamm des Bodens Grund fassen konnten. Als der Kapitän feststellte, dass der Anker nicht mehr über den Grund schleifte, ließ er die zerfetzten Reste der Hauptsegel zusammenrollen und den Giekbaum befestigen. Er blickte sich um und prüfte den Zustand des Decks. Dann ordnete er an, das verrutschte Stückgut festzuzurren, um das von dem gewaltigen Sturm durcheinandergebrachte Lastengleichgewicht wiederherzustellen.
Dort innerhalb der Bucht hatte sich die Nacht beruhigt, weil die Reede von der Kapspitze geschützt wurde: Der Sturm verschwand so schnell im Westen, dass man unmöglich glauben konnte, das Schiff wäre kurz zuvor beinahe im Schlund der Hölle versunken. Der Kapitän ließ die Hecklaterne anzünden und ordnete die zusätzlichen Manöver an, die aus
diesem wüsten Durcheinander wieder ein Schiff machen sollten. Dann stieg er die Treppe hinab, die am Heck zu der Kajüte unter seiner Kabine führte, und klopfte an das Türchen des kleinen Raums. Ruhig fragte eine Stimme: »Wer ist da?«
»Der Kapitän, Herrin.«
Man hörte es flüstern, und schließlich ging die Tür auf.
Der Raum war recht groß: An beiden Seiten lagen zwei mit Bolzen befestigte Bettstellen. In der Mitte stand ein niedriges Tischchen, das mit dem Plankenwerk verschraubt war. Über der Wasserlinie des Schiffsrumpfs befand sich ein Bullauge mit kleinen Bleiglasscheiben, das den Raum während der Tagesstunden erhellte. Von dort aus konnte man den Mast, an dem der Wimpel mit dem Wappen Barcelonas wehte, und die Laterne am Achtersteven erkennen, die das Schiffsheck beleuchtete und zusammen mit dem Topplicht an der Spitze des Großmastes in stockdunklen Nächten auf das Schiff aufmerksam machte. An der anderen Kajütenseite, neben der Tür, standen ein Schrank und die riesige Kiste, in der man eine der Frauen an Bord gebracht hatte.
Der Kapitän betrachtete die beiden Frauen in dem Licht, das durchs Bullauge einfiel. Im Gesicht der Gesellschaftsdame spiegelte sich der ungeheure Schrecken, den sie überstanden hatte. Die Miene der Gräfin wirkte hingegen gleichmütig.
»Wenn wir in Barcelona angekommen sind, wird man Euch für das Geschick und die Geistesgegenwart, die Ihr bei einem solch gefährlichen Abenteuer gezeigt habt, zu danken wissen«, sagte Almodis in liebenswürdigem Ton.
»Ihr beschämt mich, Herrin. Ich kenne den gut, der mich beauftragt hat, Euch zu beschützen, und ich durfte ihn nicht enttäuschen.«
»Sagt mir, Kapitän, was ist aus meinen Männern geworden?«
»Für uns alle war es eine schlimme Prüfung: Wenn der Sturm schon den Seeleuten übel mitgespielt hat, so hat es die Ritter Eurer Eskorte, die nicht daran gewöhnt sind, sich an Deck zu halten, gewiss noch schlimmer getroffen. Doch ich muss Euch sagen, dass sie außerordentlichen Mut bewiesen haben.«
»Kapitän, lasst bitte Delfín und den Ritter Gilbert d’Estruc rufen.«
»Sofort, Herrin. Ich hoffe, dass Ihr heute Nacht gut ausruhen könnt. Wenn Gott will, kommen wir morgen nach Barcelona.«
Doña Lionor, Almodis’ Gesellschaftsdame, hatte sich noch nicht von dem Schrecken erholt, als der Kapitän wieder an die Tür
Weitere Kostenlose Bücher