Das Vermächtnis des Martí Barbany
amortisiert. Sein Geschäft war bereits angelaufen, und er glaubte, dass es nach dem Winter seine volle Leistungskraft erreichen würde. Außerdem hatte er zwei benachbarte Grundstücke hinzugekauft, und nach der Eröffnung des Ladens würden sie ihren Wert verdoppeln oder verdreifachen. Doch seit dem Gespräch mit Baruch sagte ihm eine innere Stimme, dass seine große Zukunft auf dem Meer lag. In der vorhergehenden Woche hatte er den Geldverleiher aufgesucht und seine Schätze in Kapital verwandelt. Die gesamte Erbschaft seines Vaters reichte nach Abzug der bisherigen Ausgaben aus, wie Baruch erklärte,
um die Hälfte einer Galeere zu erwerben und einen Überschuss für den Fall zu behalten, dass eines seiner Geschäfte zusätzliches Geld benötigte. Das Unternehmen erwies sich als recht schwierig, denn es bestand nicht allein darin, den Kauf zu tätigen und einen ehrlichen Teilhaber zu finden, der es ihm ermöglichen würde, seinen Plan auszuführen, vielmehr müsste das Schiff natürlich auch von jemandem geführt werden, der eine Vertrauensperson und ein guter Seemann, tatkräftig und in der Lage war, die eingegangenen Verpflichtungen weitgehend termingerecht zu erfüllen, wobei er die auftauchenden Schwierigkeiten und die Unbilden des Wetters zu berücksichtigen hätte. Seine eigene Aufgabe sollte darin bestehen, in jeder Saison lange im Voraus loszufahren, um die Frachten und die dementsprechenden Käufe und Verkäufe vertraglich zu vereinbaren, damit das Schiff immer einen Auftrag hatte. Von den zwei Ideen, die seine schlaflosen Stunden beherrschten, wurde die erste von der Vorsehung und die andere vom Drang seines Herzens gelenkt.
Ein Zufall brachte die Lösung für einen notwendigen Schritt, und er dachte, dass sein Vater, wo er auch war, am Rad seines Schicksals drehte: Eines Nachmittags ging er zu dem Strand, der zu Füßen des Berges Montjuïc lag. Dort verrichteten die mestres d’aixa – die Schiffszimmerleute und Kalfaterer – ihr Werk. Ihm fielen die Arbeiten an einem dickbäuchigen Schiff auf, sodass er neugierig näher kam. Der Schiffskiel, dessen Spanten schon halb mit Eichenbrettern bedeckt waren, ruhte vom Vorder- bis zum Achtersteven auf einer Schiene, die ein brunnenförmiges, im Sand gegrabenes längliches Loch bedeckte. Dessen Wände waren mit Balken verschalt, damit sie nicht einstürzten, sodass die Handwerker arbeiten und ihre Leitern auf Strandhöhe an die Schiffsseiten anlehnen konnten. Dieses ganze Hin und Her erinnerte ihn an das unermüdliche Kommen und Gehen der Ameisen: Dort kümmerte sich jeder um seine Aufgabe, ohne die Tätigkeit der Übrigen zu behindern. Die Gestalt eines Mannes kam ihm irgendwie vertraut vor. Er fiel in einer Gruppe von Seilern auf, die dünne Fäden zusammendrehten, um daraus dicke Taue zu machen. Martí ging zu der Gruppe und musterte den Mann aufmerksam.
In seinen Erinnerungen tauchte das Bild eines nackten kleinen Jungen auf, der von einem Felsen sprang. Das war in einer Bucht nahe beim Golf von Rosas. Der Mann hier hatte sich ein Tuch um den Kopf gebunden. Er trug einen braunen Kinnbart, und ein Goldring schmückte sein rechtes Ohr. Nun erkannte Martí die Züge seines Freundes Jofre wieder,
obwohl er sich so gründlich verändert hatte. In seiner Kindheit hatten er und Felet an zahllosen Nachmittagen mit ihm zusammen gespielt.
Unsicher und doch hoffnungsvoll kam Martí noch näher und rief ihn an: »Jofre?«
Der Mann drehte sich um, kniff die Augen zusammen und musterte den Neuankömmling. Langsam zog sich ein breites Lächeln über sein Gesicht, und er antwortete im gleichen Ton: »Martí?«
Mehr Worte gab es nicht: Sie stürzten aufeinander zu und umarmten sich innig. Dann traten sie zurück und blickten sich aufmerksam ins Gesicht, als könnten sie an eine solch glückliche Wiederbegegnung nicht glauben.
Etwas später, in der Strandschänke Der Alte Triton , saßen sie vor Weinkrügen. Sie sprudelten eine Flut von Erinnerungen und Fragen hervor, und als die Glocken der nahen Kirchen das Zehnuhrgebet ankündigten, beschlossen sie, ihren Austausch von Neuigkeiten fortzusetzen. Martí schlug Jofre vor, das Fremdenheim, in dem er wohnte, zu verlassen und bei ihm einzuziehen, solange er sich in Barcelona aufhalten würde, um bei dem Bau des Schiffs mitzuarbeiten, das Martí am Strand gesehen hatte und das seinem wiedergefundenen Freund zum Teil gehörte. Als sich Jofre dann bei ihm eingerichtet hatte, saßen sie am Abend unter den Kolonnaden der
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