Das Vermächtnis des Martí Barbany
Versuchung, die sich in Eurem Leben eingenistet hat. Es ist nicht Eure Schuld, so ist die menschliche Natur. Auf das Alter kommt es dabei nicht an: Sobald ein Mädchen dreißig Pfund wiegt, ist es eine Frau. Der Herrgott, der sich in nichts irren kann, hat gesagt, als er den Menschen schuf: ›Seid fruchtbar und mehret euch.‹ Sobald also der Rosenstock eines Weibes erblüht, kommt es ins heiratsfähige Alter und kann somit schwanger werden. Warum heiratet Ihr sie nicht? Es gibt nichts Besseres als die Ehe, um die Glut fleischlicher Leidenschaft zu löschen.«
»Ich kann nicht, Pater. Ich habe ihre Patenschaft übernommen, und die heilige Mutter Kirche gestattet bekanntlich keine fleischliche Vereinigung zwischen einem Paten und seiner Patentochter.«
»Aber es gibt Bullen und Lizenzen. So etwas könntet Ihr beantragen.«
»Dazu muss ich Euch sagen, dass sie niemals einverstanden wäre.«
»Dann, mein Sohn, gibt es kaum eine Lösung für Euer Dilemma. Da Ihr heute keinen Besserungsvorsatz zeigt, kann ich Euch nicht die Absolution erteilen. Kommt trotzdem weiter zu mir: Im Lauf der Zeit sehen wir, wie wir aus dieser misslichen Lage herauskommen. Betet viel, mein Sohn: Das Gebet ist der einzige Schutzschild gegen den Bösen, der unendlich oft in den Leib einer Frau schlüpft.«
33
Träume und Hoffnungen
L aia war fasziniert: Ihre neue Sklavin machte sie überglücklich. Und Aixa, die Martí auf immer dankbar war, versäumte keine Gelegenheit, dem jungen Mädchen in lobenden Tönen von ihm zu erzählen. So entstand in Laias zartem Herzen ein ihr bisher unbekanntes Gefühl, das ihren Geist für diesen jungen Mann empfänglich machte, der so liebenswürdig war, zu ihren Gunsten auf Aixa zu verzichten, und dessen Gesicht sie zweimal flüchtig erblickt hatte: das erste Mal auf dem Sklavenmarkt und das zweite Mal an dem Nachmittag, als sie ihm begegnete, während er bei ihrem Stiefvater war.
Drei Monate zuvor war Aixa in ihr Leben getreten, und selbst in ihren absonderlichsten Träumen hätte sie sich nie vorgestellt, dass das Geschenk Martí Barbanys solche Bedeutung für sie erlangen würde. Die Sklavin hatte ihr Herz gewonnen; seitdem ihre Mutter gestorben war, hatte Laia niemals solche Zuneigung zu jemandem wie zu diesem entzückenden Geschöpf gefasst.
Der Brief für den Ratgeber des Grafen bekundete ehrerbietigen Dank für dessen Erlaubnis. Als sich Bernat Montcusí das Schreiben ansah, ahnte er nicht, wie folgenreich sich diese Erlaubnis auf sein Leben auswirken würde.
Barcelona, den 7. März 1053
An den hochgeborenen Herrn Bernat Montcusí, Prohom der Stadt und Generalintendant für Märkte, Jahrmärkte und Versorgung der Grafschaft Barcelona.
Hochwürdigster Herr!
Mit diesem Brief möchte ich Euch abermals für die Erlaubnis danken, die Ihr mir gewährt habt, Eurer Tochter anzubieten, die künstlerischen Talente meiner Aixa zu genießen. Sie ist, wie ich es beim letzten Mal sagte, als Ihr mir die Ehre erwiesen habt, Euer Gast zu sein, eine vortreffliche Lautenspielerin und überdies eine außerordentlich vielseitige Sängerin. Ihre Kunst hätte in meiner Abwesenheit – die, wie ich Euch erklärt habe, lang sein wird – niemanden erfreut. Wenn Gott will, reise ich im nächsten Monat, sobald ich das Schiffszertifikat erhalte, nach fernen Ländern ab.
Ich nutze diese Gelegenheit, um Euch erneut meiner ergebensten Hochachtung zu versichern. Ihr sollt wissen, dass all meine Geschäfte mit dem gleichen Eifer weiterbetrieben werden, als wenn ich sie selbst leitete.
Euer untertäniger Diener
MARTI BARBANY
Den anderen Brief verwahrte Aixa unter ihren Habseligkeiten, bis sie sicher war, dass sie das Vertrauen ihrer neuen Herrin errungen hatte, und sie bemühte sich mit ganzer Seele, ihre Zuneigung zu gewinnen. Nach und nach und Vers für Vers wirkte ihr wohlklingender Gesang wie Balsam, der dazu beitrug, dass die Wunde vernarbte, die der Tod der Mutter im Herzen des Mädchens hinterlassen hatte. In diesem Frühling wurden die Nächte, in denen sie in der Gartenlaube den schönen Melodien der Sklavin lauschte, zu ihrem wesentlichen Lebenssinn, und Aixa wurde langsam zu ihrer Vertrauten und Freundin.
»Aber ist er wirklich so liebenswürdig, wie du sagst?«
»Noch mehr. Wenn er schon mich, die weniger als nichts bedeutet, so gut behandelt hat, was wird er dann nicht gern für die Dame tun, die sein Herz gewonnen hat?«
»Er kennt mich doch fast gar nicht.«
»Wenn die Liebe erscheint,
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