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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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war auch der letzte Platz belegt,und soweit das Auge reichte, sah man Knappen und Pagen in den Farben ihrer Herrschaft, die hastig umherliefen, um ihre Ritter und Grafen zufriedenzustellen. Edelste Rösser in bunten Gewändern wurden schnaubend und wiehernd umhergeführt, und immer wieder ertönten die lauten Hammerschläge der Schmiedemeister, die noch letzte Änderungen an den Rüstungen vornahmen oder ein loses Hufeisen befestigten. Doch nicht nur die Fremden waren geschmückt – auch die Kieler hatten ihre besten Kleider hervorgeholt. Jeder wollte zeigen was er besaß. Überall leuchtete es geradezu in den verschiedensten Rot-, Grün, Blau- und Gelbtönen, die nur den glänzenden Rüstungen der Turnierteilnehmer in ihrer Pracht nachstanden.
    In der Mitte des Trubels waren zwei Kampfplätze mit Pfosten und Latten abgesteckt. Der rechte war eine freie Fläche für die Buhurt-Kämpfe, von denen gerade einer ausgetragen wurde. Die linke Fläche hatte der Länge nach eine hölzerne Abtrennung in der Mitte. Hier würden sich die Edlen später beim Tjost messen.
    Schon von der Burg aus hatten Runa und Walther die unverwechselbaren Laute des Buhurts gehört, und hier, in unmittelbarer Nähe der Kämpfenden, war der Lärm ohrenbetäubend. Das Geräusch von Metall, das auf Metall trifft, erfüllte die Luft. Es waren unzählige Schwerter, die aufeinanderprallten, Hiebe, die pariert wurden, Klingen, die aneinander schliffen. Immer wieder ertönten die Laute der teils erschöpften Schwertführer – sie gingen jedoch fast unter im Lärm, den die Waffen erzeugten. Doch so bedrohlich der Kampf auch auf den ersten Blick wirkte, es bestand nicht wirklich Gefahr. Der Buhurt diente vielen Männern eher als Übung. Die Lanzen und Schwerter waren stumpf, die Kämpfe blieben unblutig und fanden nach klaren Regeln statt, was unter anderem darin begründet lag, dass auf dem zweiten und dritten Laterankonzil festgelegt worden war, dass im Turnier gefallene Ritter nicht auf geweihtem Boden begraben werden durften. Erst später, beim Tjosten, wurde es gefährlicher.
    Runa und Walther stellten sich hinter die dicht gedrängte Menge um den Kampfplatz und sahen eine Weile lang zu, doch sie waren zu spät gekommen und bekamen nur noch das Ende des Kampfes mit.
    Als Graf Johann II., der mit seiner Gemahlin und der höfischen Gefolgschaft in einem hölzernen Aufbau mit zeltartigem Dach saß, die Hand hob, strichen Ritter und Knechte gleichermaßen die Waffen und nickten einander zu. Jubel brach aus. Wieder war eine Runde des Buhurts zu Ende. Die Kieler um den Kampfplatz waren begeistert, winkten übermütig und riefen laut die Namen der Edlen, die sie so königlich unterhielten.
    »Hast du ihn schon gesehen?«, fragte Runa und reckte den Hals, um die Männer in den Rüstungen genauer beäugen zu können.
    »Nein, noch nicht«, gab Walther zurück, der ebenso versuchte, an den Köpfen vor sich vorbeizuschauen.
    »Nicht verwunderlich«, sagte Runa. »Für mich sehen die Männer in ihren Rüstungen alle gleich aus. Wie soll man da einen bestimmten ausmachen?«
    »Du musst auf die Schilde schauen. Sein Wappen … such nach dem Fisch …«
    In diesem Moment verließen die Ritter den Platz. Gleichzeitig betraten neue Kämpfer das Feld. Das Gedränge wurde größer und noch unübersichtlicher.
    »Jetzt hat es erst recht keinen Sinn mehr«, schloss Walther und wandte sich Runa zu. »Lass uns besser zu den Getelden rübergehen. Wenn er noch dort ist, finden wir ihn sicher.«
    Runa nickte und hakte sich bei ihrem Mann unter. Gemeinsam schafften sie es durch die Menge und über den mittlerweile vollkommen zertrampelten Boden, der durch den Morgentau auch noch immer feucht war. Kurz bedauerte Runa, ihren guten Surkot übergestreift zu haben, der jetzt immer wieder im Matsch hing, da sie ihre Hände brauchte, um sich an Walther festzuhalten. Dann aber wischte sie jeden Gedanken an ihre Kleidung fort und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Suche nach ihrem Freund. Sie waren jetzt im Zeltlager der Ritter angekommen und schauten sich um. Soweit man sehen konnte, ragten die farbenprächtigen vorübergehenden Behausungen der Fremden in den Himmel – nur von den davor aufgerichteten Wappen an Höhe übertroffen. Dazwischen stieg Rauch aus kleinen Feuerstellen empor, die überall brannten. Schilde und Lanzen lehnten an den Wänden der Getelde, Knappen putzten eifrig die Rüstungen und ledernen Stiefel ihrer Herren. Es roch nach verbranntem Holz, nach dem modrigen

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