Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
ihren Anblick gewöhnt, gaben sie besonders heute, da sie sich so herausgeputzt hatten, dennoch ein wahrlich seltsames Bild ab: sie, das Antlitz einer Edelfrau, er, eindeutig das eines Spielmanns. Diese Mischung war überaus ungewöhnlich und passte eigentlich nicht zusammen, doch vielleicht mochte man sie gerade wegen ihrer Andersartigkeit.
Als sie den hölzernen Aufbau fast erreicht hatten, drehte die Gräfin den Kopf in ihre Richtung. Sie erblickte Runa und lächelte.
Auch Graf Johann II. bemerkte die beiden jetzt und sagte: »Da seid Ihr ja endlich, Spielmann. Fast habe ich befürchtet, der Gräfin und mir selbst ein Lied zur Erheiterung zwischen den Kämpfen singen zu müssen.«
Walther verbeugte sich tief und antwortete. »Dass ich Euch habe warten lassen, ist unverzeihlich. Umso schöner werde ich gleich für Euch singen – wenn Ihr es wünscht, bis zum Abendrot.« Dann wandte er sich der Gräfin zu. »Herrin, Ihr seht heute wunderschön aus. Dichter werden noch in hundert Jahren von Eurem Antlitz berichten und die Ritter heute mit Freuden ihr Leben riskieren, nur um Euch nach ihrem Sieg die Hand küssen zu dürfen!«
»Ihr seid ein unverbesserlicher Schmeichler, Spielmann, und versteht es, mich immer wieder zu besänftigen. Drum sei Euch verziehen.«
Walther, der diese Art der Unterhaltung perfekt beherrschte, erwiderte: »Die Erleichterung über Eure Absolution ist mir sicherlich im Gesicht abzulesen, edelste aller Damen. Aber nun erlaubt, dass ich tue, worum Euer Gemahl mich bat.« Sein Blick kehrte zu Graf Johann II. zurück. »Was wünscht Ihr zu hören, Herr?«
Der Graf zögerte nicht mit seiner Antwort. Ausschweifend ließ er den rechten Arm über die Umstehenden gleiten und sagte: »Bei der Anwesenheit so vieler holder Damen wünsche ich mir ein Lied aus dem Frauendienst von Ulrich von Liechtenstein.«
»Das sollt Ihr bekommen, Herr.« Walther verbeugte sich erneut und machte sich dann mit flinken Schritten auf zum Kampfplatz. Behände sprang er über den hölzernen Zaun und stellte sich in der Mitte der Fläche vor der hölzernen Abtrennung auf. Dort räusperte er sich übertrieben laut. Alle, die bisher noch nicht zu ihm gesehen hatten, schenkten ihm nun ihre Aufmerksamkeit. Nur kurz musste er seine Gedanken ordnen. Die Entscheidung, was er singen wollte, war schnell gefallen. Er kannte einige der siebenundfünfzig Lieder des Frauendienst , doch dieses war ihm das liebste. Mit geübtem Griff legte er sich seine Laute zurecht und setzte zu ein paar erklärenden Worten an. »Auch ich habe schon oft gefühlt, was in diesem Lied besungen ward«, begann Walther blumig. »Manche Frau ist von solcher Schönheit, dass ein Mann nicht aufhören kann, sie durch seine Minne zu ehren – so lang, dass sein Mund gar minnewund wird. Und so heißt auch das Lied, welches ich nun zum Besten geben werde.« Dann erklangen zunächst leise, liebliche Töne. Sie gaben den Anfang des Stücks, bevor der Gesang hinzukam.
Sommerklar wunderbar
Liegt der Wald und das Feld.
Weiß, rot, blau strahlt die Au,
Feurigbunt lockt die Welt.
Wonnengleich, freudenreich,
Welch ein Quell dem Licht entspringt.
Der wird froh, der nun so
Dient, dass die, für die er singt,
Ihm Hoffnung bringt.
Walther sang die ersten Worte mit geschlossenen Augen. Erst als er sich durch die ihn plötzlich umgebende Stille der Aufmerksamkeit aller gewiss war, schaute er zur Gräfin. Wie immer genoss sie seine Kunst – auch wenn sie sich das kaum anmerken ließ. Nur ein leichtes Heben ihrer Mundwinkel verriet ihre wahren Gefühle. Nach einer Weile wendete er sich Runa und den anderen Frauen, die um sie herumstanden, zu. Nun wurde sein Gesang noch leidenschaftlicher und inniger. Seine Worte waren so voller Melodie, dass jede der Frauen, die von ihm dabei angesehen wurde, für einen kurzen Moment das Gefühl hatte, dass er ausschließlich sie meinte.
Wem Gott gibt, dass er liebt,
Der darf nun fröhlich sein,
Frei von Leid, ganz bereit
Für noch mehr Maienschein.
Dem wird gut, der voll Mut
Spielt der Liebe Freudenspiel.
Helles Leben wird es geben
An der edlen Minne Ziel,
Sie schenkt so viel.
Wenn ein Mann spüren kann,
Dass die Frau, die er liebt,
Ihn umfängt, zu ihm drängt –
Ob es noch Schön’res gibt?
Glück entsteht, Trauer geht,
Wer einst fror, dem wird jetzt warm.
Echtes Glück bleibt zurück,
Wenn ein zarter weißer Arm
Die Schwermut nahm.
Auch Runa war, wie immer wenn Walther sang, gefangen von seinem Anblick. Hatte es je einen Mann auf
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