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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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und sagte: »Der Graf und der Rat kommen damit überein, dass Ihr freigelassen werdet.«
    Nach diesen Worten atmete Everard geräuschvoll aus – viel lauter, als er es gewollt hatte. Doch der Bürgermeister war noch nicht fertig.
    »Da Ihr aber dennoch und ohne Zweifel Schändliches getan habt, werdet Ihr die Freiheit nur erlangen, wenn Ihr Euch auf eine Pilgerreise begebt …«
    »Eine Pilgerreise …?«, fragte der Geistliche verwundert.
    »Unterbrecht mich nicht!«, fuhr ihn der Bürgermeister an.
    Everard hielt den Mund und hörte weiter zu.
    »Diese Pilgerreise wird mit strengen Auflagen verbunden sein. Wir verlangen, dass Ihr Euch einer besonders beschwerlichen Reise zu widmen habt. Euer Ziel wird Rom sein, und Ihr habt auf dem Weg dorthin so viele Reliquien und heilige Orte zu besuchen, wie es möglich ist. Über Euren tatsächlichen Besuch dieser Stätten habt Ihr die üblichen Nachweise zu erbringen. Habt Ihr verstanden?«
    »Ja, Bürgermeister«, gab Everard laut und kraftvoll zurück.
    »Gut. Das war allerdings noch nicht alles«, ließ Aios verlauten. »Die vielleicht schwierigste Auflage wird Euch von Graf Gerhard II. selbst aufgetragen.« Der Bürgermeister schwieg einen Moment. Er hatte zwar kein Mitleid mit dem Geistlichen, doch er kam nicht umhin sich einzugestehen, dass diese Auflage tatsächlich sehr unbehaglich war. Die Gerissenheit des Grafen war seiner Meinung nach gleichermaßen zu bewundern und gering zu schätzen, denn der schlaue Fürst hatte die einmalige Möglichkeit genutzt, mit der Buß-Pilgerreise Everards auch seine Sünden abtragen zu können, ohne jedoch selbst pilgern zu müssen. Darum hatte er etwas angefordert, das dem Geistlichen äußerst viel abverlangen würde. »Ihr werdet einen Eid ablegen, durch den Ihr versprecht, an jedem heiligen Ort und vor jeder Reliquie Gebete für Graf Gerhard II. zu sprechen. Diese Gebete beginnen jeweils an der Stadtmauer und enden erst bei Erreichen des Ziels in der Stadt. Und sie sind in demütigster Haltung auszuführen – auf Euren Knien, egal wie weit der zurückzulegende Weg auch sein mag. Nehmt Ihr diese Buße an, Vater Everard, auf dass Ihr nach Eurer Rückkehr wieder ein freier Mann seid?«
    Everard dachte nicht lang nach. Er hätte jedem Eid und jeder Buße zugestimmt, um nur nicht wieder ins Woltboten-Haus zu müssen. Dass er sich die finstere Kammer, in der es bloß Wasser und Brot gab, eines Tages regelrecht herbeisehnen würde, konnte er jetzt noch nicht ahnen. »Ja, ich werde den Eid ablegen, und ich werde die Reise antreten.«
    Runa trat aus dem Palas der Burg Kiel. Sie war spät dran, und das Spektakel hatte bereits seit einer Stunde begonnen, dennoch wollte sie sich nicht beeilen. Nicht heute, wo sich doch alles um Heiterkeit und Frohsinn drehte. Sie sah sich um. Der Burghof war nicht wiederzuerkennen. Schrangen und Stände drängten sich an die Burgmauern, und überall sah man Menschen und Tiere. Es roch nach Pferden und ihrem Kot, nach Leder und den Feuern der Frauen, die darüber in dicken Kesseln das Essen für die vielen Besucher des Turniers köchelten und immer wieder volle Wassereimer aus dem Brunnen hochzogen. Weit mehr Schaulustige und Kämpfer als jeder vermutet hatte, waren gekommen. Kiel platzte aus allen Nähten.
    Runa gefiel der Trubel. Schon immer hatte sie Märkte gemocht, Feste und alle Anlässe, an denen sich die Menschen drängten und es etwas zu gucken gab. Sie lächelte, als sie das Treiben beobachtete und zog sich dabei ihren Mantel enger um die Schultern, denn es war diesig und kühl an diesem Morgen. Tau benetzte alles und jeden, doch spätestens zur Mittagsstunde würde die Sonne wieder herauskommen und die Feuchtigkeit verdrängen – so war es die letzten Tage immer gewesen.
    Erst als sie hinter sich ein gehetztes »Aus dem Weg« vernahm, sprang sie zur Seite und gab den Ausgang frei. Aus der Burg kamen zwei Mägde, die gemeinsam einen riesigen Kessel an seinen Henkeln trugen. Ihre Gesichter glänzten vor Schweiß und waren stark gerötet. Sie hatten sichtlich alle Hände voll zu tun, denn die Speisen mussten nicht bloß zubereitet, sondern auch noch zu dem Platz außerhalb der Stadtmauern gebracht werden, wo die Turnei-, Buhurt- und Tjost-Kämpfe stattfanden.
    Runa blickte ihnen kurz nach. Die Frauen waren um ihre schwere Arbeit nicht zu beneiden. Umso glücklicher konnte sie selbst sich schätzen, dass dieses Schicksal so gar nichts mehr mit ihrem gemein hatte – auch wenn es ihr manches Mal

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