Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
werde dich beim Wort nehmen, Thymmo von Holdenstede.«
»Und ich habe nicht vor, es zu brechen«, sprach er und setzte ein schelmisches Grinsen auf. »Zum Glück habe ich nicht gesagt, wann ich dir das Lesen und Schreiben beibringe.«
Bekes Gesicht wurde wieder finsterer. »Was soll das heißen? Du wirst mich doch nicht etwa übers Ohr hauen, oder?« Grimmigen Blickes, die Hände in die Seiten gestemmt, kam sie auf ihn zu.
Thymmo flüchtete und lachte dabei schallend, da er am Ende doch der Klügere war. Was aber nicht hieß, dass er wirklich vorhatte, sein Wort nicht einzuhalten. Trotzdem war es wohl besser, Beke gerade aus dem Weg zu gehen.
Vor der Tür war es beinahe so laut wie dahinter. Johann Schinkel wunderte sich nicht schlecht über das, was er vernahm. Offenbar hatten die beiden Gleichaltrigen eine Menge Spaß zusammen. Je länger er lauschte, desto beunruhigter wurde er. Schon früh war ihm klar geworden, dass es kein glücklicher Umstand war, zwei Heranwachsende gleichen Alters unter einem Dach zu beherbergen, die nicht blutsverwandt waren, und von denen einer auch noch ein Domherr werden sollte! Er nahm sich vor, ein Auge auf die beiden zu haben.
Als die Tür sich öffnete, kamen Beke und Thymmo schlagartig zum Stehen. Ihr Lachen erstarb, und ihre Gesichter wurden umgehend rot wie Purpur.
»Na, kommst du gut mit deinen Schreibarbeiten voran, Thymmo?«, fragte der Ratsnotar gespielt streng, während sein fragender Blick auf die lädierte Schreibfeder fiel.
»Äh, ja, ich habe bloß meine Feder gesucht, nachdem ein … ein Windstoß sie von meinem Pult geweht hat. Aber jetzt habe ich sie!«, log er und hob das zerfetzte Teil in die Höhe, nur um sie gleich darauf beschämt hinter seinem Rücken zu verbergen.
Johann Schinkel schaute zum Fenster – es war geschlossen. Kopfschüttelnd richtete er seinen Blick auf Beke. Doch anstelle des Mädchens redete erneut Thymmo.
»Beke … würdest du jetzt bitte gehen, wir haben hier wichtige Dinge zu tun«, sagte er in einem Ton, der ungewollt überheblich und überhaupt nicht selbstsicher klang. »Bring uns … etwas zu Trinken!«
Das Mädchen schaute zu Thymmo. Es brauchte keine besonderen Fähigkeiten, um zu bemerken, wie gekränkt sie war. Auch ihre Antwort ließ keinen Zweifel daran. »Jawohl, edler Herr!« Im nächsten Moment stürmte sie auch schon hinaus.
Der Ratsnotar musste ein wenig über die ungeschickte Art seines Sohnes schmunzeln. Von Frauen hatte er offensichtlich nicht die geringste Ahnung! Um diese unangenehme Situation aufzulösen, wechselte er schnell das Thema. »Zeig mir mal deine Schriften …!«
Thymmo tat nur zu gern, was der Ratsnotar forderte. Gemeinsam begaben sie sich zu seinem Pult, wo Johann Schinkel sich gleich über die Zeilen beugte. Nach einer ganzen Weile erst blickte er auf und sprach lobend: »Sehr gut, Thymmo. Nicht ein einziger Fehler! Und auch dein Schriftbild wird immer besser. Sieh nur, wie gerade du mittlerweile schreibst. Man könnte fast meinen, du brauchst gar keine Hilfslinien.«
»Danke, Ratsnotar! Die Arbeit macht mir auch wahrlich Freude. Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, wie schwer mir Latein vor einigen Jahren noch gefallen ist?«
»O ja, das habe ich nicht vergessen. An manchen Tagen habe ich dich regelrecht zu den Aufgaben zwingen müssen. Und heute kann ich dich von deinem Schreibpult bloß noch weglocken, wenn ich das Licht lösche.«
»Ja, alles hat seine Zeit, genau wie Gott es in seinem Buch sagt«, lachte der Fünfzehnjährige. »Ich bin froh, dass ich Euch bei den Tätigkeiten als Ratsnotar zur Seite stehen darf!«
Johann Schinkel nickte versonnen. »Ich weiß, wie du dich fühlst, Thymmo. Mir erging es vor dreißig Jahren ähnlich, als Jordan von Boizenburg mich zu seinem Schüler gemacht hatte – so, wie ich dich zu meinem gemacht habe. Alles, was ich zum Zeitpunkt seines Dahinscheidens wusste, hatte ich von ihm gelernt. Und dann bin ich sein Nachfolger geworden.«
»Meint Ihr, mir kann es eines Tages ähnlich ergehen?«
»Du strebst mein Amt an?«
»Ich weiß nicht … eines Tages … ist es denn so abwegig?«
»Nun, es wäre jedenfalls noch ein langer Weg bis dahin. Zunächst müsstest du noch viel mehr über die Arbeit eines Ratsnotars wissen. Und du bist noch sehr jung. Und außerdem müsste ich erst sterben«, lachte Johann Schinkel nun ausgelassen.
»Sagt doch nicht so etwas«, wiegelte Thymmo jetzt ab. Die Vorstellung, dass der Ratsnotar eines Tages nicht mehr da sein
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