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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Augenblick lang herumgestanden. Nur einen Augenblick! So, und nun bestraft mich. Wie Ihr es sowieso getan hättet – ganz gleich, ob ich im Recht oder im Unrecht bin.«
    Die Ohrfeige, die sich Tybbe einfing, war so schallend, dass sie meinte, die Glocken der Klosterkirche zu hören. Doch die Genugtuung darüber, einmal ausgesprochen zu haben, was sie wahrlich dachte, war größer als der Schmerz.
    Heseke zerrte das Mädchen am Arm durch die Gänge. Vorbei an der Gruppe der Klosterjungfrauen, die paarweise nebeneinander zum Chor gingen, wo sie gleich eines der sieben täglichen Gebete entrichten würden, bis hin zur Tür der Kammer des Propstes, dem obersten Kopf des Klosters.
    Nach dem tretet ein schauten beide in ein verwundertes Gesicht. »Was ist denn hier los?«
    »Dieses Mädchen ist eine Schande für das Kloster Buxtehude«, donnerte Heseke sofort los.
    Der Propst schaute zu Tybbe, die einen feuerroten Handabdruck auf der Wange hatte, und dann wieder zu Heseke. Ihm war nicht entgangen, dass die Lehrmutter das Mädchen ständig tadelte. »So? Ist sie das? Was ist es heute, das Tybbe getan hat, Mutter Heseke?«, fragte der Mann und legte seine Schreibfeder weg.
    »Sie ist streitsüchtig und widersetzt sich mir bei jedem noch so geringfügigen Grund.«
    »Ihr habt sie körperlich gezüchtigt, wie ich sehe?«
    »Das war notwendig!«
    »Habt Ihr sie vorher angewiesen, sich Euch zur Buße vor die Füße zu werfen, bis Euer Zorn durch den Segen zur Ruhe kommt, wie der heilige Benedikt es für richtig hält?«
    Nun war es um Hesekes Selbstsicherheit geschehen. »Nein … das habe ich nicht. Aber ich …«
    »So, das habt Ihr also nicht getan«, bemerkte der Abt mit einem unbewegten Gesicht. »Muss ich Euch etwa noch einmal die Regeln des heiligen Benedikt lehren?«
    »Nein, ehrwürdiger Abt. Ich …«
    »Und könnt Ihr mir auch sagen, warum Ihr gerade nicht beim Stundengebet seid, Mutter Heseke?«
    Nun stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht. In ihrem Zorn hatte sie das Zeichen zum Gottesdienst tatsächlich überhört. »Ich wollte … ich dachte …«
    »Nichts! Absolut nichts ist dem Gotteslob vorzuziehen, Mutter Heseke!« Jetzt bekam die Haltung des Propstes etwas Belehrendes. Sein Zeigefinger erhob sich. »Wenn das Zeichen ertönt, lege man unverzüglich alles beiseite und begebe sich mit Ernst und Eile zum Oratorium. Spätestens zu den Vigilien bis zum Ehre sei dem Vater des Psalms vierundneunzig habt Ihr an Eurem Platz zu sein. Wie es scheint, muss ich Euch tatsächlich daran erinnern: Der liturgische Gottesdienst hat Eurer Ausübung der Erziehung Tybbes nicht nachzustehen!« Jetzt nahm der Propst seine Schreibfeder wieder zur Hand und widmete sich seinem Pergament. »Vielleicht ist genau dort der Grund für den Ungehorsam Eurer Schülerin zu suchen. Ihr seid kein gutes Vorbild. Übt Euch darin, und das Mädchen wird gehorchen.«
    Tybbe musste an sich halten, um nicht zu grienen. Was für eine Wohltat, ihre Lehrmutter dabei zu beobachten, wie einmal sie getadelt wurde. Die Hand Hesekes jedoch, die ihren Arm immer fester umschloss, begann langsam vor Zorn zu beben.
    Noch einmal sah der Propst auf und richtete das Wort an die Lehrmutter. »Was steht Ihr hier noch herum? Begebt Euch auf den Platz für Nachlässige, damit Ihr Euch dort schämen könnt und Euch daraufhin bessert.«
    »Und … und was soll mit Tybbe geschehen?«
    »Lasst sie hier. Ich habe noch etwas mit ihr zu besprechen.«
    Hesekes Finger gruben sich noch einmal so tief in Tybbes Arm, dass es schmerzte. Dann aber verschwand die Hand – und mit ihr Heseke. Der Schmerz ließ nach.
    Der Propst schrieb erst zu Ende. Dann sah er Tybbe nachdenklich an. Was sollte er nur mit diesem Mädchen anstellen? Sie war aufgeweckt, manchmal etwas frech, und trotzdem mochte er sie. Aber er konnte keine Ausnahmen machen. Die Regeln des Konvents waren eindeutig und die des heiligen Benedikt auch. »Hast du dir die Mägde im Kloster mal genauer angesehen?«
    Tybbe wollte antworten, doch sie verstand nicht, was der Propst meinte. »Was genau meint Ihr?«
    »Ich meine, hast du gesehen, wie sie leben? Wie sie arbeiten?«
    Kurzzeitig überlegte sie, ob sie wirklich schon einmal bewusst auf die Mägde geachtet hatte. Sie konnte sich nicht erinnern. Zwar hielt sie mit der einen oder anderen mal ein Gespräch, aber auf ihre Arbeit hatte sie nie geschaut. »Nein, ehrwürdiger Propst. Verzeiht, wenn ich das hätte tun sollen und ich es versäumt habe.«
    »Was du wirklich

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