Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
du nicht aufpasst, wird dein Hinterteil bald an deinem blöden Schemel festwachsen. Sieh mal, draußen ist herrliches Wetter. Hast du das überhaupt schon bemerkt?«
Unwillkürlich blickte Thymmo zu den Butzenscheiben.
In diesem kurzen Moment schnappte sich Beke seine Schreibfeder und flitzte los in die gegenüberliegende Seite der Kammer. Dabei begann sie laut zu lachen. »Komm doch, und hole dir deine Feder zurück!«
»Beke! Was soll das?«, schimpfte Thymmo halbherzig und streckte seine flache Hand aus. »Ich muss weiterschreiben. Gib sie schon her …«
»Vergiss es! Du musst sie dir holen«, ließ ihn das Mädchen wissen und hielt die Feder spielerisch vor ihr Gesicht, strich sie sich über Wangen und Hals, um ihn weiter zu reizen.
In diesem Augenblick sprang Thymmo mit einem Satz von seinem Sessel auf.
Beke kreischte vor Schreck und vor Vergnügen und versuchte ihm zu entkommen. Doch sie wurde gnadenlos von Thymmo verfolgt – erst in die eine Ecke, dann in die andere.
Lauernd stand er ihr gegenüber und konnte sich das Lachen ebenso nicht verkneifen.
Immer wieder gelang es dem Mädchen, an Thymmo vorbeizuschlüpfen. Er musste all sein Geschick aufwenden, um ihren Weg vorauszuahnen und ihr ebendiesen abzuschneiden. Schließlich gelang ihm der entscheidende Zug. Er täuschte rechts an, auf dass Beke nach links lief. Dann stürmte er doch nach links und umschlang sie beim Vorbeilaufen mit seinen Armen.
Bekes unkontrolliertes Lachen hallte durch die Kammer.
»Jetzt habe ich dich!«, rief Thymmo triumphierend und versuchte an seine Feder zu gelangen, die sie immer noch tapfer verteidigte und erfolgreich vor ihm versteckte. Mal zwischen ihren Knien, mal weit von sich gestreckt, sodass er nicht heranreichte.
Mit einem Arm hielt er ihre Taille umschlungen, mit dem anderen fischte er nach seinem Eigentum. Während sie so rangelten, verloren sie plötzlich das Gleichgewicht und fielen gemeinsam zu Boden. Beke fiel rücklings auf Thymmo und strampelte lachend mit Armen und Beinen. Thymmo hielt sie weiter fest, und dann endlich, bekam er, was er wollte.
»Jetzt hab ich sie«, stieß er siegessicher aus und reckte seine Hand mit der Schreibfeder darin über seinen Kopf.
Doch Beke wollte noch immer nicht aufgeben. Irgendwie schaffte sie es, seinen Griff um ihre Taille zu lockern. Sie rollte sich auf ihm herum und schnappte sich das andere Ende der Feder. Beide erstarrten.
Eben im Gerangel war ihnen die Ungehörigkeit ihres Verhaltens gar nicht so bewusst gewesen, doch jetzt kam es über sie wie ein Schwall kalten Wassers. Sie lagen aufeinander, die Nasenspitzen nur einen Fingerbreit voneinander entfernt.
Thymmo spürte Bekes Busen auf seiner Brust und ihre Beine zwischen seinen.
Beke fühlte seinen Arm um ihre Taille und seinen Atem auf ihrem Gesicht.
Um aus der verrückten Situation zu entkommen, sagte Thymmo: »Solche Federn sind kostbar, Beke. Du solltest loslassen, bevor sie bricht. Außerdem hab ich gewonnen, also gib auf!«
»Nein, gib du auf!«
»Komm schon, lass das. Gib dich geschlagen.«
»Nur unter einer Bedingung.«
»Was soll das denn heißen«, fragte Thymmo belustigt. »Seit wann können Verlierer denn Bedingungen stellen?«
»Das kann ich, weil ich noch nicht verloren habe. Schließlich habe ich die Feder noch in der Hand.«
Er verzog das Gesicht, sagte aber: »Nun gut, was ist deine Bedingung?«
»Du bringst mir Lesen und Schreiben bei.«
»Beke, du bist wohl übergeschnappt. Ein Mädchen und Lesen und Schreiben …?«
»Na und? Entweder du tust es, oder deine Feder bricht gleich entzwei. Dann kannst auch du Wunderschüler nicht mehr schreiben.«
»Das ist keine Bedingung, sondern Erpressung!«
»Nenn es, wie du es willst«, erwiderte das Mädchen selbstbewusst. »Tust du es, Thymmo?«
Er reagierte nicht gleich.
»Bitte!«, bettelte sie.
»Gut, ich mache es, aber jetzt lass los!«
»Du musst es versprechen.«
»Das auch noch.« Dieses Weib war einfach zu hartnäckig. »Na schön, ich verspreche es!«
Jetzt erst ließ Beke die etwas in Mitleidenschaft gezogene Feder los. Als die beiden Fünfzehnjährigen sich wieder gegenüberstanden, wirkten sie ein wenig beschämt. Zwar kannten sie sich schon ihr halbes Leben lang, waren zusammen in dieser Kurie groß geworden und hatten sich bislang benommen wie Bruder und Schwester, doch diese Situation fühlte sich irgendwie anders an.
Beke brach das unangenehme Schweigen. Sie lächelte einseitig und tippte ihm auf die Brust. »Ich
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