Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Stimme. Es waren Worte, die er schon oft gesprochen hatte. Sie kamen kraftvoll und besonnen zugleich. »Schwört Ihr, die Ihr gräfliches Blut aus dem Hause Stotel in Euch tragt, mir, Graf Johann II. zu Holstein-Kiel, die Lehnstreue? Gelobt Ihr, mir mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehen und mir immer hold und gegenwärtig zu sein, auf dass ich Euch Schutz und Schirm gewähre, wenn Ihr ihn braucht?«
Dem ehemaligen Spielmann stockte der Atem. Sein Mund wurde trocken. Überwältigt, wie er war, wollte er seine Antwort mit Inbrunst geben, dann aber fiel ihm auf, dass er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Schließlich war er kein Ritter und auch erst seit Kurzem wissentlich von adeliger Herkunft. Zu seinem Glück verstand der kluge Fürst sofort.
»Wenn Ihr bereit seid, mir diesen Eid zu schwören, so sprecht mir nach: Bei meiner Ehre gelobe ich, Walther von Sandstedt, Euch, Graf Johann II. von Holstein-Kiel, die Lehnstreue. Ich werde treu sein, hold und gegenwärtig, und meine Lehnspflichten stets erfüllen, so wahr mir Gott helfe.«
Walther gingen die Worte leicht von den Lippen. Er hatte sie augenblicklich in sich aufgesogen und war sich sicher, sie niemals in seinem ganzen Leben mehr zu vergessen. »Bei meiner Ehre gelobe ich, Walther von Sandstedt, Euch, Graf Johann II. von Holstein-Kiel, die Lehnstreue. Ich werde treu sein, hold und gegenwärtig, und meine Lehnspflichten stets erfüllen, so wahr mir Gott helfe.«
Johann II. nickte zufrieden und ließ sich darauf ein Schwert von einem seiner Ritter geben. »Dann seid Ihr fortan mein Vasall. Nehmt dieses Schwert als Zeichen, ebenso wie diese Übertragungsurkunde, die bestätigt, dass ich Euch mit dem Gut Drake bei Westede und dem dazugehörigen Land belehne.«
Walther nahm beides entgegen.
»Erhebt Euch als mein Vasall.« Der Graf legte Walther eine Hand auf die Schulter, schaute ihm in die Augen und sagte: »Nun noch das Wichtigste. Eure zu erbringende Lehnspflicht wird nicht aus der Heerfahrt bestehen, sondern aus den erwirtschafteten Abgaben Eures Gutes, und, was nicht minder wichtig ist, aus der Hoffahrt. Eure regelmäßige Anwesenheit auf der Burg Kiel ist nicht länger bloß erwünscht, sondern ab heute auch gefordert.« Die nächsten Worte sagte der Fürst lächelnd, da er mit sich äußerst zufrieden war. »Ebenso fordere ich die Anwesenheit Eurer Laute, Spielmann! Ihr habt doch nichts dagegen, dass ich Euch ab heute wieder so nenne, oder?«
Nun begann auch Walther zu lächeln. Sein Blick glitt zu Freyja. Sie war wieder da, und Walther wusste, jetzt würde er wieder singen können. »Nein, Lehnsherr! Das habe ich nicht.«
»Geh zu ihm«, sagte Walther zu Runa, die schon seit einiger Zeit wach neben ihm im Bett lag. Sie dachte wohl, er hätte es nicht bemerkt, doch er hörte es an ihrem Atem, den er so gut kannte.
»Was meinst du?«
»Du weißt, was ich meine. Geh zu ihm.«
Runa schluchzte unvermittelt auf und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Eine Weile lang konnte sie nur weinen. Sie war ihrem Gemahl so unendlich dankbar. Nie hätte sie Walther darum gebeten, doch offenbar vermochte er es mit den Jahren, ihre Gedanken zu lesen. Seit Freyjas Rückkehr und Thymmos Freilassung vor zwei Tagen, schien all ihr Tun und Denken beherrscht von dieser einen schrecklichen Sache. »Ich danke dir!«
Walther zog sie noch einmal in seine Arme, dann ließ er sie gehen. Es wurde nicht ausgesprochen, dennoch war klar, dass er sie nicht begleiten würde. Walther hatte sich nie ganz frei von dem stechenden Gefühl der Eifersucht machen können, dennoch sollte Runa diesen vielleicht letzten Moment mit dem Vater ihres Erstgeborenen allein erleben.
Runa lief durch die Stadt, die noch zu schlafen schien. Kühle Mailuft strich ihr wohltuend über das Gesicht. Nur hier und da sah sie ein paar Mägde. Sie war froh darum, ansonsten allein zu sein. Noch einmal sog sie alles in sich auf. Jedes Haus, jede Brücke, jeder Hof in Hamburg war ihr so vertraut. Bald schon würden sie der Stadt den Rücken kehren, um für immer auf Gut Drake zu leben. Runa horchte in sich hinein. Hatte sie Angst vor dem Unbekannten? Was hielt sie hier? Noch vermochte sie es nicht mit Bestimmtheit zu sagen, doch sie vermutete, dass nach Johanns Tod, der unvermeidlich bevorzustehen schien, auch ihre Bande zu Hamburg reißen würden. Vor ihr lag nun ein neues Leben, und sie wollte es willkommen heißen. In den letzten beiden Tagen hatte sie sich häufiger gefragt, wie es sich anfühlte,
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