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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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ihrer Größe nach hätte der Fall sein dürfen, hatte sich auf geradezu erstaunliche Weise bestätigt. Es gab eine wahre Flucht von Zimmern und Kammern, ihre Zahl hätte einem Schloss zur Ehre gereicht und war unmöglich auch nur zu schätzen, denn fortwährend stieß Hogarth auf neue Räume, die er bis dahin noch nicht betreten hatte; dann etwa, wenn eine der bisher versperrten Türen plötzlich offen stand. Bisweilen aber fand er auch Türen, die es vorher gar nicht gegeben hatte, dessen war er sich sicher. Und die Zimmer selbst, die Flure und Treppen, waren wiederum derart ineinander verschachtelt, dass jeder Versuch, eine Anordnung, einen Plan dahinter zu suchen, nur dazu führte, dass es Hogarth schwindlig wurde.
    So gab er alsbald jeden Gedanken an eine Flucht und daran, das seltsame Haus zu ergründen, auf und beschränkte sich einzig auf seine Aufgaben und die spärlichen (und stets fruchtlosen) Unterhaltungen mit dem alten Mann.
    Hogarth hielt die Sachen in den Regalen sauber, sorgte dafür, dass sie in Reih und Glied standen und lagen – und widerstand der Versuchung, das Siegel wenigstens eines der Pergamentröllchen zu brechen, mit denen jeder Gegenstand versehen war.
    Sie übten einen ganz eigenen Reiz auf Hogarth aus, diese unscheinbaren Röllchen. Als ahnte er, dass darin die Antwort auf seine ungestellten Fragen verborgen lag. Aber er beherrschte sich und ließ die Finger davon. Weil… die Zeit dafür noch nicht gekommen war.
    Ein merkwürdiger Gedanke war das, denn Hogarth wusste nicht, woher er kam. Es war, als sei es nicht sein eigener, als würde er ihm ins Ohr geflüstert, von wem auch immer. Aber er folgte ihm, aus irgendeinem Grunde.
    Dass er längst begonnen hatte, sich an Seltsames zu gewöhnen, mochte durchaus Teil dieses Grundes sein.
     
     
     
    III.
     
    Obwohl Hogarth nicht viel zu tun hatte, brauchte er nie über Langeweile zu klagen.
    Zum einen verging kein Tag (oder eine Zeitspanne eben, die der Junge für die Dauer eines Tages hielt; die Zeit zwischen Aufstehen und Schlafengehen), an dem er nicht etwas Neues in den Zimmern der Hütte entdeckte; wie von Zauberhand etwa tauchten in den Regalen sozusagen über Nacht neue Sachen auf, die Hogarth dann anderntags vorfand, polierte, begutachtete und ordentlich hinstellte.
    Und zum anderen kam recht häufig Besuch.
    Nun war es nicht so, dass Hogarth mit diesen Besuchern in Kontakt gekommen wäre. Allenfalls konnte er ab und an einen Blick auf einen von ihnen werfen. In aller Regel aber schickte der alte Mann Hogarth in irgendeine Kammer und gab ihm eine Aufgabe, die ihm nicht sonderlich dringlich erschien. Aber Hogarth gehorchte.
    Hin und wieder jedoch gelang es ihm, etwas von dem aufzuschnappen, was draußen im Raum mit dem Tresen vorging. Und es gab keinen Zweifel daran, dass die Besucher des alten Mannes in eben der gleichen Absicht kamen wie dereinst der kopflose Reiter. Zwar verlangten sie nicht nach einem neuen Kopf, aber sie handelten anderweitig mit dem Alten: Sie brachten ihm etwas, und im Gegenzug erhielten sie dafür etwas; in den allermeisten Fällen eines der Dinge aus den Regalen.
    Indes, nicht mit jedem Besucher kam ein Geschäft zustande. Auch das entging Hogarth nicht. Bisweilen wurde man sich wohl nicht handelseinig.
    So bekam der Junge zum Beispiel einmal mit, wie der Alte ein Schwert aus einem Regal nahm und auf den Tresen legte. Wenig später hörte Hogarth dann den alten Mann geradezu empört ausrufen: »Was bildet Ihr Euch ein? Eine Hand voll Drachenschuppen für eine Waffe wie diese, die im Sonnenlicht geschmiedet wurde?« Daraufhin sagte der Fremde etwas, dass der Junge nicht verstand. Wohl aber hörte er die Antwort des Alten: »Was Ihr mir anbietet, würde nicht einmal ausreichen, einen Handschuh daraus zu fertigen. Nein, nein, Ihr müsst schon mit etwas Besserem aufwarten, so Ihr dieses Schwert führen wollt.« Der Besucher zog daraufhin unverrichteter Dinge von dannen, und der alte Mann legte die Waffe – ein ausnehmend feines Stück, das Hogarth stets mit größter Hingabe polierte – ins Regal zurück. Kopfschüttelnd und schmunzelnd sah er den Jungen dabei an und meinte: »Unverschämte Vorstellungen haben manche Leute…« Woraufhin er sich in eines der Zimmer zurückzog und die Tür hinter sich verriegelte.
    Hogarth hatte sich ein Tuch genommen und die Klinge des Schwerts von neuem auf Hochglanz poliert. Im Sonnenlicht geschmiedet… so hatte der alte Mann die Waffe angepriesen. Der Junge nickte

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