Das Vermächtnis des Rings
gehört, wie sie miteinander geredet haben. Sie wollen zu einem Ort, den sie die Insel aus Glas nennen, weil sie dort reichere Beute erhoffen. Ich bin vor ihnen geflohen und habe mich hier versteckt«, fügte ich hinzu.
Die Männer, die mich umringten, sahen mich misstrauisch an. »Ihr glaubt ihm, Herr Arthur?«, fragte ein anderer, und der, der mich gepackt hielt, meinte: »Er sieht doch selber wie ein Nordmann aus mit seinem blonden Schopf.«
Ich warf den Kopf zurück. »Meine Abkunft ist so gut wie die eines jeden von euch, und ich bin in der Stadt der Sterne geboren, als der hohe Pharazon dort herrschte.«
»Der Pharao?«, fragte der Mann, den sie Arthur genannt hatten. »Dies Land gehört zum Römischen Reich. In Rom herrscht der Kaiser, und die Pax Romana reicht bis an die Grenzen der Mittelerde.«
Mir sagte das alles nichts. »Ist denn die Macht des Schattens endlich gebrochen? Das wievielte Jahr zählt man seit der Gründung von Numenor?«
Ein Raunen ging durch die Männer. Einige wichen zurück, als hätten sie plötzlich einen Geist erblickt. Mein Bewacher lockerte unwillkürlich den Griff. Selbst Arthur sah mich mit anderen Augen an, in denen sich Unbegreifen und ein dunkles, namenloses Staunen spiegelten.
»Numinor?«, sagte er langsam. »Aber Numinor ist eine Legende. Atlantis, das gefallene Land, nennt man es heute. Vor ungezählten Jahren versank es im Meer, ehe die Gestalt der Erde sich wandelte.«
Mich schwindelte. Ja, mir war, als würde der feste Boden unter meinen Füßen hinweggezogen und als taumelte ich hinaus in ein endloses Chaos, in dem es keinen Raum mehr gab, keine Zeit. Nur noch die Leere und das gezeichnete Ich.
Und so fiel ich auf die Knie und rief ihn an mit dem alten linnod:
»Tiron le, a taro; un-tiro nin si di-nguruthos!«
›Ich schaue zu Dir auf, o Herr; sieh herab auf mich hier unter Todesschatten!‹
Das bleiche Gesicht Arthurs wurde weiß wie die Wand. »Lass ihn los!«, sagte er dann. Es war ein Befehl, der keinen Widerspruch duldete. Ich spürte, wie der Griff des Alten erschlaffte.
»Ja, ich glaube ihm«, beantwortete Arthur dann die Frage, die sein Gefolgsmann gestellt hatte. »Denn er spricht die alte Sprache der Barden, wie sie seit undenklichen Zeiten nicht mehr gesprochen wurde, nicht in den Landen der Mittelerde und nicht auf dieser Insel der Mächtigen. Aber ich habe sie in meinen Träumen gehört…«
Die anderen sahen ihn an, als wäre er selbst ein Wesen aus einer anderen Zeit, und er muss das Befremden in ihren Blicken gespürt haben, denn er raffte sich auf und fuhr fort, an mich gewandt:
»Ob ich dich als meinen Gefolgsmann annehme, werde ich später entscheiden. Jetzt müssen wir als Erstes zur Abtei von Glastonburh, der Insel aus Glas, und das, so rasch wir können. Du kannst mit uns reiten. Wie lautet dein Name?«
»Ich…« Meine Stimme stockte. Als ich erwacht war zwischen Fels und Eis, da hatte ich nicht einmal meinen Namen gekannt. Jetzt stellte ich fest, dass ich immer noch nicht wusste, wer ich war. »Ich weiß es nicht.«
»Du hast die hellen Augen eines Falken«, sagte Arthur. »Ich werde dich Merlin nennen.« Dann, mit einem Blick auf meine Gewandung: »Gebt ihm etwas anzuziehen, das besser für einen Ritt geeignet ist.«
Man gab mir Hosen und einen Kittel, die ich hastig überstreifte, und ein Pferd, ein struppiges Tier, das aber den Anschein großer Ausdauer erweckte. Dann ritten wir los.
Unser Weg führte aus dem Hochland hinab in das flache Tal, das sich bis zu den undurchdringlichen Wäldern erstreckte, welche den Ostteil des Landes bedeckten. Langsam wich das schroffe Felsgestein, auf dessen dünner Humusschicht nur Heidekraut und Ginster um eine kümmerliche Existenz kämpften, sanfteren Hügeln, Buschwerk und Weideland. Zu Mittag rasteten wir an einem kleinen Bach, wo wir die Pferde tränkten, aßen ein hastiges Mahl von gedörrtem Fleisch und trockenen Früchten und ritten weiter. Ein feiner Regen fiel. Am Abend erreichten wir ein ausgedehntes Flussdelta, das uns zwang, einen weiten Bogen nach Osten zu schlagen. Ich konnte vor Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten, aber Arthur trieb uns unerbittlich an. Erst als die Sonne schon hinter den fernen Gipfeln versunken war, machten wir Halt und schlugen ein Lager auf.
Und wieder erwachte ich schreiend aus meinen Träumen. Caradoc, der mich nicht aus den Augen ließ, sah mich misstrauisch an, als sei ich wirklich ein wildes Tier, wie der unbezähmbare Falke, nach dem man
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