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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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worden. Das Leinen darin war versengt, doch auf dem Grunde fand ich eine noch halbwegs erhaltene wollene Decke. Mit einem scharfen Stein schnitt ich ein Loch hinein, dann streifte ich sie mir über den Kopf und band sie mit einem Strick zusammen. Aus ein paar anderen Resten riss ich mir Lappen, die ich um die Füße wickelte. Es war zwar nicht kleidsam, aber so würde ich zumindest nicht erfrieren.
    Ich fragte mich, ob ich die Toten bestatten müsste, aber ich wusste nicht, wie. So ging ich nur zu dem Mann hin, wo er gefallen war, und schloss ihm die Augen; dann hob ich seinen starren Körper auf und trug ihn zum Haus, zu seiner Frau und seinem Kind. Wenn ich sie schon nicht im Tode vor den wilden Tieren bewahren konnte, dann sollten sie wenigstens gemeinsam liegen.
    Inzwischen war es fast dunkel geworden. Zum ersten Mal fragte ich mich bewusst, was nun aus mir werden sollte. Ich war ein Fremder in einem fremden Land, allein, ohne Hilfe; ich wusste nicht, wem ich trauen, ja nicht einmal, wohin ich mich wenden konnte. Kleidung besaß ich nun, nach einer Art. Nun brauchte ich Nahrung. Und dann, als Drittes, menschliche Gesellschaft.
    Jedenfalls konnte ich hier nicht bleiben. Die Toten mochten andere Aasfresser anziehen als die Raben, und hier, in der Nähe der Küste, war ich nicht sicher. So zog ich im letzten, ersterbenden Abendlicht landeinwärts, bis ich eine Nische zwischen Felsen fand, wo ich, gegen den Wind geschützt, zumindest für die Nacht Ruhe finden konnte.
    Doch Ruhe fand ich nicht. Vielmehr lag ich wach im Dunkeln, auf dem harten Erdboden, und schaute in den nächtlichen Himmel empor. Ich sah die Sterne, wie sie von der Hand der Entfacherin über den Himmel gesät worden waren, in den alten, vertrauten Formen: da der Krieger mit dem leuchtenden Gürtel, dort der Schmetterling… Sie waren das Einzige, was ich kannte in dieser fremden Welt. War es dieser Gedanke, der mich nicht schlafen ließ? Oder war es die Angst, dass ich, wenn ich erneut die Augen schloss, vielleicht nie mehr erwachen würde?
    In dieser Nacht träumte ich. Es war ein langer, verwirrender Traum, erfüllt von Schiffen mit weißen Segeln, die über das Meer kamen, aus dem Westen, und mit ihnen kamen jene, deren Macht weit über Irdisches hinausging, sodass die Menschen sie Götter nannten. Mit Fanfarenklängen kamen sie und mit Waffengeklirr, und Licht umhüllte sie, jenes Licht, das niemals stirbt, wenn auch die Throne wanken und die Berge stürzen und die Welt vergeht. Und mit ihnen kam eine Musik, deren Klang selbst über ihre Macht hinausging, weil in ihr der Wille des Einen enthalten ist, der allein wohnt und vor dem selbst die Götter sich neigen. Ich wusste, dass ich diesen Heerzug nie gesehen hatte, denn es war lange vor meiner Zeit gewesen, und jene Musik hatte ich nie gehört, nur in meinen Träumen und wenn ich hinablauschte in die Tiefen des Meeres. Und aus der grünen Tiefe erhob sich eine Welle, schaumgekrönt, und sie stieg und stieg, immer höher, bis sie den Himmel auslöschte und die Erde verschlang und über mir zusammenschlug. Schreiend erwachte ich.
    Ich fand mich umgeben von Kriegern.
    Einen Augenblick lang glaubte ich, die Räuber von der See wären zurückgekehrt, doch dann sah ich, dass diese hier anders gekleidet waren, in Tuch und Leder, mit Rüstungen aus Kettengeflecht. Vor meinem Aufschrei waren sie zurückgewichen; jetzt machten sie Platz für einen, der ihr Anführer zu sein schien. Er trug eine Tunika aus dunklem Nessel über dem Kettenhemd und einen grünen Umhang; Gold blinkte an Armen, Saum und Handgelenken.
    Er sprach mich an. Ich blinkte mit den Augen; es war eine andere Sprache, als die Seeräuber sie gesprochen hatten, aber sie war wiederum vertraut und fremd zugleich. Dann begann mein geschulter Bardensinn die Worte zu ordnen, und ich wusste, was er von mir wollte.
    »Steh auf, wenn Herr Arthur mit dir redet!«, sagte einer der Umstehenden, ein älterer Mann mit Strähnen von Grau in Bart und Haupthaar. Er packte mich grob an meinem Kittel und riss mich hoch.
    »Lass ihn, Caradoc«, sagte der andere. »Du siehst doch, dass er keine Gefahr darstellt. Was weißt du von dem, was hier geschehen ist?«, fuhr er fort, an mich gewandt.
    Ich schluckte. »Sie… sie kamen vom Meer«, sagte ich. Es war seltsam, meine eigene Stimme zu hören. »Sie haben das Haus niedergebrannt und alle getötet. Aber sie haben nur wenig Beute gemacht.« Die Worte, die aus meinem Mund kamen, gaben mir Sicherheit. »Ich habe

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