Das Vermächtnis des Rings
Leben.
Das Feuer sang in meinem Blut, ließ meine Haut brennen, erfüllte meinen Kopf mit Flammen, und ich hörte, fühlte, schmeckte das Pochen, mit dem es durch meine Adern kreiste, den ewigen Rhythmus, in dem das Herz schlägt. Es ist der Takt des Gesanges, den die Große Musik uns vorgibt, und wer in die Musik der Schöpfung eindringt, der kann die Welt verändern. Das wusste ich. Ich hatte es selbst versucht.
Ich war betrunken vom Gesang des Blutes; vom Hunger, der meinen Kopf leicht machte und die Füße schwer; von der Erschöpfung; von der Fülle der Empfindungen, die auf mich einstürmten und die ich so lange vermisst hatte: das Rauschen des Windes in den Bäumen, das Flimmern des Lichts zwischen den Nadelzweigen, der Gesang eines Vogels, das Huschen von Pfoten zwischen dem trockenen Buschwerk…
So taumelte ich auf das offene Grasland hinaus, als der Wald sich lichtete, und hätte mich fast verraten, ehe meinen benebelten Sinnen klar wurde, dass hier irgendetwas nicht stimmte.
Der Rauch, den ich gesehen hatte, war nun so nah, dass man ihn riechen konnte: ein stechender Geruch, in den sich der Gestank von verbranntem Fleisch mischte. Und als ich neben dem Busch hervorspähte, hinter den ich mich unwillkürlich geduckt hatte, sah ich, dass er nicht aus einem Kamin kam. Es war der Rauch des Krieges.
Ein Haus. Niedrige Mauern aus Felssteinen, nun geschwärzt vom Brand. Ein Rieddach, aus dem in dunklen Schwaden Qualm emporwallte; Flammen züngelten dazwischen. Ich sah Männer, die herumstanden, in Felle und grobes Tuch gekleidet. Die Sonne blinkte auf Helmen und Waffen.
Plötzlich wurde die Tür des Hauses aufgestoßen. Eine Gestalt taumelte heraus, rannte, die Arme vors Gesicht gehalten, blindlings ins Freie. Es war ein Mann. Vielleicht glaubte er sich einen Augenblick wirklich frei, wider besseres Wissen. Sie ließen ihn laufen. Er kam direkt auf mich zu. Ich sah das namenlose Entsetzen in seinen aufgerissenen Augen.
Dann hob einer den Arm, ein Speer flog, und mit einem Aufseufzen, das der Wind verwehte, brach der Fliehende in die Knie, schwankte noch einen Augenblick und blieb dann reglos liegen.
Ein Gejohle erscholl von den Kriegern, und der, der den Speer geworfen hatte, kam in meine Richtung gelaufen, um ihn sich wieder zu holen. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, nur einen blonden, von Schmutz starrenden Bart unter dem grob gearbeiteten Spangenhelm. Ich hätte aufstehen und auf ihn zugehen können, doch ich gestehe, dass mich, nackt wie ich war, Furcht ergriffen hatte. Mit Worten konnte ich umgehen, gewiss; dies ist das Vorrecht eines Barden. Doch vielleicht würden sie gar nicht erst fragen, sondern mich gleich töten. Und ich wusste nicht einmal, ob sie mich verstehen würden.
Einer von den anderen rief etwas, und der Mann mit dem Helm drehte sich um und antwortete. Der Wind trieb Wortfetzen heran; sie klangen fremd und vertraut zugleich. Sie erinnerten mich an die Sprache, welche die Reiter des Festlandes benutzten, und plötzlich verstand ich, nicht wörtlich, aber zumindest den Sinn: Es lohne nicht, hier weiter zu bleiben; sie hätten alles, was sie brauchten. Und der Speerkämpfer erwiderte: Auf der Insel aus Glas, wenn der Wind sich drehe, würden sie reichere Beute finden.
»… on thum glaesum ilandum… « Die Worte, weil sie so seltsam waren, brannten sich in mein Gedächtnis ein.
Ich duckte mich tiefer in den Schutz des Gesträuchs, bemühte mich, mit der Umgebung zu verschmelzen. Ich schloss Augen und Ohren gegen alles, was um mich geschah, gegen den Brand, die Krieger, die ersterbenden Schreie.
Eine lange Zeit verstrich, ehe ich mich aus meiner Starre löste. Als ich mich aufrichtete, war ich allein. Das Haus war bis auf die Grundmauern niedergebrannt; Rauch trieb in dünnen Fäden davon. Die Sonne hing wie ein roter Feuerball im Westen. Es war kalt. Von den Kriegern war nichts mehr zu sehen. Ringsum kein Lebenszeichen, bis auf ein paar Raben, die mit mattem Flügelschlag aufflogen, als ich näher kam. Ich sah, woran sie sich geatzt hatten. Das, was dort halb verbrannt in den Trümmern lag, war einmal eine junge Frau gewesen. Und jenes dort ein Kind.
Der Geruch von verbranntem Fleisch lag immer noch in der Luft und ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch an diesem Wild konnte unsereins sich nicht laben, so sehr auch der Hunger in meinen Eingeweiden wühlte. Mit einem Stock stocherte ich in den Trümmern herum. Eine verkohlte Truhe war mit Gewalt aufgebrochen
Weitere Kostenlose Bücher