Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
siebzehneinhalb war, stieg er in einen Wallace-Arnold-Bus, mit einer Gitarre in einer Hand und einem verbeulten Koffer in der anderen. Er hatte ein Schinkenbrot und zwanzig Pfund in der Tasche. Und er fuhr fort für immer, hinaus aus dem Leben meines Vaters.
Neunzehntes Kapitel
Ich fahre mit dem Zug zu Daniel. Er wohnt in einem kleinen Dorf, nicht weit von der Küste.
Ich habe die Telefonnummer vom Freund eines Freundes bekommen. Es hat mich nicht überrascht, dass eine Frau ans Telefon ging. Ich sprach mit fester Stimme mit ihr. Daniel sei nicht da, sagte sie. Er könne mich später zurückrufen, wenn ich wolle. Ich hingegen mochte lieber bei ihnen vorbeischauen.
Ich sehe aus dem Fenster des neuen, glänzenden, zu drei Vierteln leeren Zuges, der noch nach neuem Teppichboden
riecht. Schimmernd und ruhig fährt er an Schilfufern und Orangenhainen und brachliegenden Feldern vorbei, an Betonhäusern und provisorischen Lauben und Autowracks. Einmal passieren wir einen Haufen kaputter Toilettenschüsseln. In meiner Nähe sitzen ein paar bewaffnete Soldaten und ein Geschäftsmann. Eins der Fenster ist zersplittert: Ein Netz von Rissen zieht sich wie Venen durch das Sicherheitsglas.
Nachdem ich schon so lange weg bin, bin ich es müde, an fremden Orten zu sein, ich bin es müde, mit der fremden Sprache und der fremden Währung zu kämpfen. Mein Bedarf an Flucht ist gesättigt. Ich bin beinahe bereit, nach Hause zu fahren.
Den Besuch bei Daniel muss ich noch erledigen.
Ich sitze in dem fast leeren Waggon und sehe die Landschaft vorüberfliegen, eine bezwingende Mischung aus Fremdheit und Vertrautheit, Flachdachhäusern, Akazienbäumen, grünen Straßenschildern, roten Erdhaufen. Es ist eine Landschaft aus meinen frühesten Erinnerungen: Wein und Beton, staubige Orangenbäume, Abraumhalden und halbfertige Gebäude. Irgendwo darunter liegt ein Land begraben, das einmal schön war.
In meinen versiegelten Waggon eingesperrt schaue ich hinaus in ein Land, das nichtssagend ist ohne seine Gerüche: Benzin und heißer Teer, überreife Früchte, Meersalz und getrockneter Eselsdung.
Jemand fragt mich nach der Uhrzeit, und ich antworte in meinem ausdruckslosen Akzent. Die Sprache meines Vaters wird blass und nichtig in meinem englischen Mund.
Zwanzigstes Kapitel
Ich erinnere mich an den Tag, als wir zum Surprise View fuhren.
Da war er bereits verwirrt, es ging ihm nicht gut, er war wacklig auf den Beinen. Er sah zerzaust aus, als hätte er vergessen, sich zu kämmen. Ich weiß noch, dass seine Jacke schief geknöpft war. Er stand geduldig da wie ein kleiner Junge, und ich knöpfte ihm die Jacke neu.
Ich war vierzehn Jahre alt.
In seinen letzten Jahren widmete er sich wieder den Hobbys seiner Jugend. Schon seit geraumer Zeit war er harmlosen Beschäftigungen nachgegangen: ein bisschen Schnitzen, ein bisschen Gartenarbeit, sogar ein bisschen Stickerei, obwohl seine Finger fast zu unbeholfen waren, die Nadel zu halten. Er selbst war langsam und sanftmütig geworden. Er arbeitete vom Morgen bis zur Dämmerung im Rosenbeet. Er pflanzte Radieschen; er baute eine Laube.
Manchmal beobachtete ich ihn abends durch die Fensterscheibe, eine ferne Schattengestalt in der einbrechenden Dunkelheit, die sich niederbeugte und wieder aufrichtete: eine idyllische ländliche Szene. Und wenn er ins Haus kam, müde und schweigsam, betrachtete ich die Falten um seinen Mund und seine Augen, die traurige Form seines Gesichts, und dann lächelte er mich an, als hätte er in diesem späten Stadium alles akzeptiert, was er gewesen war und noch war.
Ich ging jede Woche mit ihm auf den Markt. Wir gingen an Marktschreiern vorbei, an glitzernden Eishaufen, Stapeln grüner Äpfel, an Fleisch und schimmerndem Fisch. Wir kauften Süßigkeiten in Tüten und Kartoffeln aus dem Angebot. Ich trug die alte Einkaufstasche mit den gebrochenen
Plastikgriffen, die mir immer schwerer am Handgelenk hing.
Manchmal landete etwas unbemerkt auf dem Boden der Tasche: ein verirrter Apfel, ein kaputter Lolli. Seine Geschicklichkeit und der Drang zur Langfingrigkeit blieben bis in dieses Alter.
Wir gingen im Regen, im schneidenden Wind zwischen den groben Ständen aus Holz und flatternden Planen umher. Er wirkte zerzaust und müde, der Kragen seines langen Mantels war verdreht, Wasser lief ihm an Gesicht und Hals hinunter. Er hing seinen Erinnerungen nach, der verschwundenen Vergangenheit, er suchte nach dem Duft des Machane-Jehuda-Markts: gerösteter Mais und
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