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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Umständen trauert. In diesem Winter, nach dem Krieg, war sie am traurigsten: Überall in der Altstadt lagen Trümmerhaufen, der Bezirk Mamillah war eine einzige Ruine. Jerusalem stand auf der Asche ihrer siebzehn Zerstörungen. Die einzige Stadt, deren Herz außerhalb ihrer selbst liegt.
    Er ging die Ben-Jehuda-Straße auf und ab. Er ging durch den Sacher-Park. In Beit Hakerem sah er eine Gruppe Jungs, die Fußball spielte. Er stand in seinem langen Mantel da
und beobachtete sie. Einer schoss den Ball aus dem Spielfeld. Er fing ihn und warf ihn zurück. Ihre Blicke begegneten sich.
    Er entschloss sich, zu Fuß nach Kiriat Shoshan zurückzugehen, und kam feucht und erschöpft und am ganzen Körper zitternd dort an, weil er nichts gegessen hatte. Batsheva setzte ihn in die Küche und gab ihm Suppe. Das Haus fühlte sich unnatürlich still an.
    Er stellte fest, dass die Fensterrahmen morsch wurden. Das Haus war schrecklich heruntergekommen. Es waren Risse in den Bodenfliesen. Die Wände waren grau geworden. Alle Türen quietschten. »Die könnten mal gestrichen werden«, merkte er an. Batsheva zuckte die Achseln.
    In einem der hinteren Zimmer ging Saul schwerfällig umher. Manchmal, wenn er ins Wohnzimmer kam, fand Amnon seinen Bruder auf dem Rücken liegend auf dem Sofa vor, wo er mit einem Arm über den Augen Radio hörte. Shoshanah eilte derweil demonstrativ geschäftig hin und her und war überzeugt, dass sie von allen am meisten für ihre Mutter tat, obwohl die Ärzte ihr wiederholt versichert hatten, dass man nichts tun konnte. Sie hetzte durch die Küche, zu beschäftigt, um Suppe zu essen. Sie trug ein enges, grünes Kostüm, als müsse sie zu einer Konferenz. Sie eilte durch die verzogene Hintertür hinaus und ließ sie offen stehen, weil sie mit Hut und Handschuhen kämpfte.
    Als er an diesem Abend ins Krankenhaus kam, wurde seine Mutter gerade gewaschen. Kurz sah er ihren nackten Körper, und er zog sich verwirrt auf den Flur zurück. Dort saß er eine halbe Stunde lang mit dem Bild seiner nackten Mutter unauslöschlich vor dem geistigen Auge. Er wurde der Gewissheit seines eigenen Todes gewahr und bekam Angst.
    Später wachte er an ihrem Bett und schrieb, von Einsamkeit
erfüllt, einen langen Brief, den zerknirschten, verängstigten Brief eines Waisenjungen. »Dieser Abschied hat mir gezeigt«, schrieb er, »dass es, wenn wir je ohne einander würden leben müssen, ein furchtbarer Kampf wäre, und ich weiß nicht, ob ich es schaffen würde. Es scheint mir nicht nur eine Frage der Liebe zu sein, sondern des Lebens selbst.«
    Es wurde Tag, und es gab immer noch keine Veränderung. Eine Krankenschwester kam, kontrollierte einige Werte. »Sie hat ein kräftiges Herz«, sagte sie.
    Er verließ das Krankenhaus in der Dämmerung und trat hinaus in die Frische eines Jerusalemer Morgens, in die Gesellschaft von Straßenkehrern und Händlern und vereinzelten Maultieren, ein paar Juden, die zum Frühgebet eilten. Ein kaltes Lüftchen wehte. Der Himmel war blass. Die üblichen Klänge Jerusalems waren zu hören: das Behauen von Steinen, näselnde Stimmen, Glocken. In einer Bäckerei in der Jaffa-Straße kaufte er sich einen heißen Bagel und aß ihn auf dem Weg zur Bushaltestelle.
    All die Jahre seines Leben fielen von ihm ab, in hauchfeinen Schichten, eine nach der anderen. Die Sonne auf seinen Wangen war die Sonne seiner frühesten Kindheit.

Vierundzwanzigstes Kapitel
     
    Ich bin mir nicht sicher, ob es Dinge gibt, die ich Daniel gern sagen würde. Ich bin mir nicht sicher, ob es Dinge gibt, die Daniel mir sagen möchte.
    Es kommt mir vor wie ein langes Schweigen, als wir unter dem Avocadobaum stehen (er hat lange, ausladende Äste und eine Reihe von Früchten in verschiedenen Reifestadien). Vielleicht hat er etwas gesagt, und ich habe es nicht gehört. Vielleicht hat er auch nur vor sich hin gemurmelt.

    »Bitte?«
    »Ich meine nur, der Baum könnte mal zurückgeschnitten werden.«
    So vergeht der Augenblick, wie Augenblicke eben vergehen mit ihrer unaufhaltsamen Unvermeidlichkeit, und wir machen weiter. Gott sei es gedankt, sage ich mir, Gott sei es gedankt. Schrecklich, den Augenblick falsch auszulegen und irgendetwas zu gestehen, etwas, das überhaupt nicht guttun würde, sondern nur neues Bedauern auslösen.
    Aber es ist noch mehr - ich stelle fest, dass ich nichts zu gestehen habe. Ich betrachte ihn gelassen, diesen Mann, von dem ich immer dachte, er sei die Liebe meines Lebens. Ich betrachte ihn mit

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