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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Geborgenheit, hier in diesem Zug, der meinetwegen ewig weiterfahren könnte und sein Ziel nie erreichen. Ich glaube, ich habe meine Mitte gefunden, ich bereue die Vergangenheit nicht und fürchte mich nicht vor der Zukunft: Eine innere Ruhe durchströmt mich, eine klare Erkenntnis.
    Ich bin weit gereist, weg von den alten Unsicherheiten, der alten Verwirrtheit, an einen neuen, schwebenden, unentdeckten Ort.

    Wenn diese Ruhe doch anhielte, diese Erkenntnis so klar bliebe und ich mich frei wüsste, von niemandem verurteilt und verdammt, dann könnte ich das Leben umarmen wie einen Liebhaber. Wenn ich doch immer reisen könnte, zielstrebig und unabhängig, und den Namen meines Bahnhofs kennte, während der Zug für immer durch die Nacht rast.

Siebenundzwanzigstes Kapitel
     
    Ich weiß nicht, ob sie sie je fand. Ob meine Mutter die Briefe fand, die er nicht abgeschickt hatte.
    Jahre nachdem Reuben von zu Hause weggegangen war, schickte sie dem Jungen immer noch Geschenke, traf sich mit ihm zum Lunch im West End, kaufte ihm handgenähte Hemden von Savile Row. Sie sandte ihm Geld mit der Post, schrieb Briefe, telefonierte heimlich. Er sagte, sie solle ihn in Ruhe lassen, und wollte dann doch mehr, wie ein verwöhnter Liebhaber, der der Versuchung nicht widerstehen kann. Sie organisierte Stelldicheins, buchte Urlaube, weinte, wenn er sie verletzte, und versöhnte sich wieder.
    Sie erzählte meinem Vater nichts von alldem. Wenn eine Frau sich betrogen fühlt, braucht sie ihre eigenen, heimlichen Seitensprünge.
    Nach und nach wurde das Essen zu ihrem Anker, sie beschwerte ihren Körper, füllte ihn an wie gegen eine drohende Hungersnot. Sie trug weite Kleider, die sich im Wind blähten wie Zelte. Sie kaufte Antiquitäten, sammelte Schmuck und Figurinen. Sie hatte ihr Leben voll ausgekostet: war beim leichtesten Schlag zusammengezuckt und stets benommen vor Wut, Eifersucht, Liebe.
    All diese letzten Jahre hindurch lagen sie nebeneinander
in dem Doppelbett, das er mit seinen eigenen Händen gebaut hatte, dem Ehebett mit dem gepolsterten grünen Kopfteil, in dem sie mehr und mehr wurde und er von Tag zu Tag weniger. Bis sie eines Tages aufwachte und feststellte, dass sie das Bett ausfüllte und dass er verkümmert war, geschrumpft; verschwunden.
    Nach ihrem Tod verbrannte ich all die Briefe, verbrannte alles ungelesen. Seine Schublade war voll damit. Sie kann sie unmöglich nicht gefunden haben.
    Hannah habe sich früh scheiden lassen, sagt Miriam. Sie wurde Violinistin in der Philharmonie. Sie hatte eine Wohnung in der Nähe des Trumpeldor-Friedhofs. Sie gab Unterricht. Miriam traf sie manchmal auf der Dizengoff-Straße. Sie war immer gut gekleidet, wunderschön zurechtgemacht, aber sie alterte schnell wie viele Europäer in diesem Klima. Sie lächelte sie immer an und wechselte ein paar Worte mit ihr. Ausgezeichnete Manieren. So war sie erzogen. Sie fragte nie nach Amnon. Sie trug einen Mantel, selbst im Hochsommer. Sie trug immer sehr schöne Schuhe.

Achtundzwanzigstes Kapitel
     
    Ich fahre zurück und sehe mein Spiegelbild deutlich vor der Dunkelheit der Nacht, sehe mich selbst dort draußen, mich selbst warm und sicher hier drinnen. Ich trage dieses schwebende Bild bei mir, auf dem ganzen Heimweg von meinem Besuch bei Daniel.
    Wer ist diese Frau dort im Äther, einsam und kinderlos, stark und unabhängig, die mich ausdruckslos anschaut und die immer da ist, im Zug, im Taxi, im Flugzeug? Sie ist noch nicht sicher, wer sie ist, aber sie ist irgendwo da draußen, hoch in der Stratosphäre über halb Europa.

    Du weißt, wer sie ist: deine Konstante, dein Ort der Geborgenheit. Das tapfere Waisenkind. Die Mutter und der Vater, die du in dir trägst.

Neunundzwanzigstes Kapitel
     
    Eine Horde von Shephers bricht über den Bungalow in Kiriat Shoshan herein, sie versammeln sich, um über den Kodex zu sprechen an diesem strahlenden, stillen Frühlingsnachmittag. Cobby und Fania führen, bleich und erschöpft von ihrer zehnminütigen Reise, den Umzug an und nehmen, wie es ihrem Status als Patriarch und Matriarchin gebührt, die besten Plätze im chaotischen Wohnzimmer ein. Miriam kommt in ihrem kleinen grünen Suzuki, ein farbenfroh bedrucktes Tuch um den Kopf, und küsst mich auf beide Wangen. Ihr Enkel erscheint in vollständiger Militäruniform. Die laute Frau in Perücke und braunen Strümpfen, die mit ihrer naturgegebenen Nebelhornstimme eine ganze Flottille Verwandter anführt, kann nur Sara Malkah sein, und - ein

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