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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Wunder! - wer sollte dieses uralte Geschöpf sein, dieses verhutzelte und mumifizierte Männlein, mindestens hundertzehn Jahre alt, wenn nicht ihr Bruder Yossel. Wie Spinnweben hängt er zwischen den Metallstangen seiner Gehhilfe, die Augen milchig trüb. Ihm dicht auf den Fersen werden Shephers angespült, von deren Existenz ich gar nichts wusste: alte und junge und große und kleine Shephers, männliche und weibliche Shephers, orthodoxe und abtrünnige Shephers, Angestellte und Arbeiter; Shephers mit und ohne Brille, schlaksige oder untersetzte, langgesichtige und goldblonde oder engelsgesichtige und dunkle Shephers. Und dennoch alle unverkennbar Shephers, ob sie an die Umzugskartons gelehnt in den Ohren bohren oder mit einem Nagetierblick
die Rücken der aufgestapelten Bücher lesen; und im Schatten präsidiert, sofern man aus dem Schatten heraus präsidieren kann, unser eigener König Saul in einem Zustand missmutiger Rebellion und wünscht sie alle zum Teufel und sich selbst weit weg.
    Die Nachhut bildet, von allen unerwartet, außer anscheinend von Onkel Cobby, ein kleines Fernsehteam, bestehend aus einer porzellangesichtigen Journalistin, einem Kameramann und einem Tonmann. Sie werden draußen auf der Veranda aufgehalten (wo sich überzählige Shephers aus der entfernteren Verwandtschaft und überhaupt Nachzügler versammelt haben), um ein paar Handgreiflichkeiten entgegenzunehmen. Ich versuche derweil halbherzig, Erfrischungen zu reichen. Vorbeikommende Kinder grabschen nach Keksen. Graubärte runzeln angesichts meiner Hose missbilligend die Stirn. Niemand weiß oder interessiert sich dafür, wer ich bin. Sara Malkah schaut gebieterisch durch mich hindurch. Ich lasse den Blick über die Versammlung schweifen und glaube, irgendwo in den Tiefen meines Gedächtnisses ein paar erwachsene Cousins zu erkennen, mit denen ich vor dreißig Jahren im Sandkasten gespielt habe, aber Cousins entgleiten einem wahrscheinlich von allen Familienmitgliedern als erste.
    »Shulamit!«, ruft einer und kommt zu mir. Ich habe einen Moment lang nicht die leiseste Ahnung, wer er ist. Er hat ausgeblichene blonde Augenbrauen und strahlend blaue Augen, ein gewinnendes Lächeln. Er hat etwas verlockend Vertrautes. Er sieht aus wie ein Reisender in fernen Landen.
    »Ich bin dein Cousin Itai«, sagt er. »Batshevas Sohn. Wo hast du denn gesteckt? Warum hast du nicht angerufen - warum bist du nicht mal bei uns vorbeigekommen?«
    Ich bringe keine angemessene Antwort zustande.
    »Erinnerst du dich nicht an mich?«, beharrt er. »Wie wir
hier immer auf dem Platz gespielt haben? Und wie wir uns in den Garten von den Plotskys geschlichen haben?«
    Ich kann meine Gefühle kaum im Zaum halten oder begreifen. Ich bin verwirrt, erfreut, gerührt. »Doch«, sage ich. »Natürlich erinnere ich mich.«
    »Hast du gehört, was Plotsky passiert ist? Der Arme - was für eine Tragödie. Ich sag dir, mit der Familie könnte man einen ganzen Roman füllen. Das Haus steht jetzt nicht mehr, und der Garten - aber das weißt du ja. Wie lange bist du denn schon hier?«
    Ich fange an zu erzählen, aber jetzt ruft Onkel Cobby die Versammlung zur Ordnung: Er steht inmitten all der Leute und bringt sie mit zitternder Autorität und mühsamer Selbstbeherrschung zum Schweigen; keineswegs ein einfaches Unterfangen, denn in seinem Publikum haben sich bereits zahlreiche Streitgespräche entzündet wie politische Krisenherde.
    » Chevre, chevre «, ruft er. »Freunde, Freunde: Danke, dass ihr alle gekommen seid. Wirklich, ich freue mich, euch alle zu sehen. Wer hätte gedacht, dass so eine unerwartete Krise - oder nennen wir es nicht Krise, nennen wir es einen unerwarteten Anlass - für so eine noch nie dagewesene Zusammenkunft des Clans sorgen würde!«
    Von hinten ruft bereits jemand, er solle zur Sache kommen.
    » Chevre, chevre . Immer mit der Ruhe. Wir wollen hier eine sehr wichtige Frage klären. Vielleicht die wichtigste Frage, die unsere Familie je zu klären hatte. Ein bemerkenswerter Schatz ist uns in die Hände gefallen. Ein Bibelkodex von ungewöhnlichem Alter und ungewöhnlicher Herkunft und, wer weiß, vielleicht auch von beträchtlichem Wert« (mehr Zwischenrufe und Bemerkungen aus verschiedenen Ecken des Zimmers) »ist durch eine Verkettung von Umständen,
über die sich der Schleier der Zeit gelegt hat, in unseren Besitz gelangt.« (Ein Chor von Widersprüchen und die süffisante Bestätigung: »Das wissen wir!«) »Die Frage, die wir uns stellen müssen -

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