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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Familie ließen ihr keine Zeit mehr dafür. Im Haushalt befolgte sie die religiösen Gebote. Shabbat bedeutete Fleisch und Kerzen; Neujahr Honigkuchen und Schneiderrechnungen; Pessach Frühjahrsputz und neue Utensilien. Und alles musste irgendwie bezahlt werden.
    Sie blieb dem guten Ruf ihres Mannes gegenüber skeptisch. Was die Frömmigkeit anging, war sie schon zu vielen Verrückten begegnet. Und zu seinen guten Augen schnaubte sie nur: »Im Dunkeln sieht der gar nichts.« Reb Jakob Itchka, der Fuhrmann, sagte einmal, möglicherweise sei Shalom Shepher einer der sechsunddreißig Gerechten, die es in jeder Generation gibt. Batsheva meinte dazu: »Und Reb Itchka ist einer der vierzig Millionen Dummköpfe.«
    Aber Isaak Raphaelovitch war entzückt von seinem Schwiegersohn. Hier hatte er endlich die Möglichkeit, mit einem echten Gelehrten zusammen zu studieren, und er lag ihm ständig wegen einer Stunde gemeinsamen Lesens in den Ohren. Natürlich fühlte Raphaelovitch sich bemüßigt, seine Gelehrtheit unter Beweis zu stellen und den jungen Mann mit seiner Leseliste zu beeindrucken. Seine Lektüre war mit einer Menge Unfug gespickt. Batsheva steckte oft den Kopf durch die Tür und beobachtete, wie sie dasaßen, ihr Vater über ein Buch gebeugt, ihr Mann mit geschlossenen Augen zurückgelehnt. Ihr Mann schlief offenbar, und ihr Vater bohrte ungeniert in der Nase.
    Es verging einige Zeit, bis die Spekulationen ein Ende hatten und die Ehe mit Kindern gesegnet wurde. Zur gegebenen Zeit gebar Batsheva eine Tochter und dann noch eine Tochter. Es dauerte nicht lange, da waren es drei, eine Tochter,
eine Tochter, eine Tochter, die alle von frühester Kindheit an in die Geheimnisse der Essigherstellung eingeweiht wurden. Mit ihren langen, ernsten Gesichtern, dem dunklen, glatten Haar und den winzigen Trichtern und Töpfen in den Händen gab es keinen Zweifel, dass sie Batsheva Raphaelovitchs Nachkommen waren.
    Insgesamt wurden dreizehn Kinder geboren, von denen sieben überlebten. Sechs Töchter wuchsen auf und heirateten mittellose Gelehrte. Eine heiratete einen Abenteurer, der nach Amerika wollte, in Irland von Bord ging und verschwand. Eine andere verlor in jungen Jahren ihren Mann, tat gemeinnützige Arbeit und vernachlässigte ihre Verwandtschaft. Eine dritte, Hannah Raisl, ließ sich mit einem Uhrmacher ein, der so schlecht in seinem Beruf war, dass sie das Geschäft dreißig Jahre lang selbst unterhielt.
    Der einzige Sohn war mein Großvater, Joseph Shepher. Er hatte den Körperbau meines Urgroßvaters und die Farben meiner Urgroßmutter. Er hatte Reb Shaloms Magen und Batshevas Verdrießlichkeit. Kurz gesagt, er hatte die jeweils schlechteren Eigenschaften seiner Eltern geerbt, allerdings muss man ihm zugutehalten, dass er das Beste daraus machte.
    Schon von Kindesbeinen an litt er unter Verdauungsstörungen. Es könnte vererbt gewesen sein oder auch nicht. Es könnte eine Auswirkung unterdrückter Sehnsüchte gewesen sein oder einfach an zu viel Essig gelegen haben. Batsheva die Saure verschonte keins ihrer Kinder. Es heißt, selbst die Milch, die sie aus ihrer Brust tranken, sei bitter gewesen.

Zehntes Kapitel
     
    Saul sagte: »Ich habe ihn hier schon mal gesehen. Starrt mit großen Augen das Haus an.«
    »Was will er denn?«
    Er zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Rede ich mit solchen Leuten?«
    Ich goss die vertrockneten Pflanzen auf der Veranda. Es war mein zweiter Tag in Kiriat Shoshan, und ich hatte bereits den Kühlschrank geputzt und gefüllt, die Betten frisch bezogen und das Badezimmer wieder in Schuss gebracht. Die Vergangenheit fühlte sich schon viel mehr wie ein Zuhause an.
    Von der Veranda aus sah ich den Mann mit den schwarzen Schläfenlocken und dem gestreiften Kaftan unter einem Pfefferbaum beim Sandkasten herumlungern. Er wirkte orientalisch, sein Gesicht war olivfarben und blass. Sein Blick flackerte immer wieder in die Richtung unserer Fensterläden. Glaubte er wirklich, wir sähen ihn nicht? Oder wollte er unsere Aufmerksamkeit erregen, ohne sich die Mühe zu machen, uns direkt anzusprechen? Ich schaute ihn über die Gießkanne hinweg verstohlen an. Unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen waren mir seltsam vertraut: Er ließ den Blick prüfend und selbstzufrieden an mir hinauf- und hinunterwandern, als wisse er ganz genau, wer ich bin.
    Das verwirrte mich gehörig; zum einen, weil ich eine vage Ahnung hatte, dass es einem frommen Juden verboten war, einer fremden Frau in die

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