Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
ich am Ende des Gartens ein großes Lagerfeuer auf. Ich warf alles hinein, was brannte.
Postkarten und Fotos waren in Sekundenschnelle verbrannt. Andenken und Souvenirs verschwanden in einem Blitz. Ein Brief in der winzigen, schnörkeligen Schrift meines Großvaters tanzte wie ein blauer Schmetterling im Rauch und war weg.
Zunächst hatte ich gar nicht beabsichtigt, diese Dinge zu verbrennen. Aber dann, als die Flammen höher schlugen, packte mich eine Art Wahn. Warum bewahrte man überhaupt etwas auf? Die Vergangenheit war nichts als eine Qual: Es war besser, sie loszuwerden. Es war ein Fegefeuer, ein großer Akt der Reinigung. Mein Herz wurde leicht wie Asche.
Dann verkaufte ich das Haus und zog in eine ferne Stadt. Ich wohnte in einem hohen Gebäude mit großem Treppenhaus, in einer Wohnung mit weißen Wänden und wenig Möbeln und einem Fenster, aus dem ich an klaren Tagen und im richtigen Licht einen silberblauen Streifen sehen konnte, der das Meer war.
Dort lebte ich allein, höchstens halb gebunden an eine Reihe unangemessener und flüchtiger Liebhaber, während die Stapel der Bücher, die ich mochte, um mich herum wuchsen und mir jederzeit hätten auf den Kopf fallen können. Ich führte ein Leben ohne Wurzeln und bar jeder Rituale und reihte mich unter den Wissenschaftlern ein, die die Schrift durch Analyse bezähmen und die sich, während sie sie liebevoll sezieren, nicht mit ihrem Inhalt auseinanderzusetzen brauchen. Früher hatte ich die Festtage eingehalten, aber jetzt schmerzten sie mich, sie weckten Erinnerungen an meine Kindheit, die mir Kummer bereiteten. Beim Anblick der Shabbatkerzen musste ich weinen. All die Regeln und Traditionen schienen jetzt bedeutungslos. Mein Fortschreiten war die Umkehrung von dem des Philosophen Rosenzweig, der Schritt für Schritt zu den Traditionen seiner Vorfahren zurückkehrte. Wenn ich hingegen gefragt wurde, ob ich einen bestimmten Brauch aufgegeben hätte, antwortete ich meist: »Noch nicht.«
Viele Jahre später bedauerte ich meinen Akt jugendlichen Wahns. Ich nahm die paar Dinge, die den Flammen entkommen waren - die Brosche meiner Mutter, ein einzelnes Foto, die Uhr meines Vaters - und legte sie als Geste des Respekts auf das Kaminsims. Aber manchmal tauchte das Bild eines blauen Papierschmetterlings wie ein trauriger Geist in meiner Fantasie auf und quälte mich mit seinen für immer verlorenen Worten.
Jetzt war ich an die Quelle zurückgekehrt, zur Familie selbst, die mir schon lange gleichgültig geworden war und an die ich gar nicht mehr gedacht hatte, ebenso wie ich meine eigene Vergangenheit und meine Religion von mir gewiesen hatte. Ich war gerade noch rechtzeitig zurückgekehrt, um den letzten Zipfel meiner Geschichte zu erwischen, bevor sie in Vergessenheit geriet. Durch die Zimmer dieses Hauses
zu gehen, wie im Traum und doch so vertraut, solide wie eh und je und doch zitternd vor der Vernichtung, war, wie aus einem langen Schlaf aufzuwachen.
An diesem Abend saßen wir einander in dem trostlosen Wohnzimmer gegenüber, Saul im Schaukelstuhl meiner Tante, ich auf dem staubigen Sofa; ich mit meinem Buch und er mit seinem Radio. Mein Onkel sagte: »Deine Mutter hat auch immer gelesen. Genau so. Immer ein Buch vor der Nase.«
Immer einen Roman. Darin waren wir uns ähnlich. Und ich fragte mich, ob auch sie, ebenso wie ich jetzt, die große Belanglosigkeit gespürt hatte, die Unmöglichkeit, hier zu lesen, unter dem Dach dieser Familie. Worte lösten sich auf. Beschreibungen der englischen Landschaft schienen unermesslich fern und unwirklich. Ich wandte mich mit einem Seufzen ab und ließ das Buch sinken. Ich wollte Dinge wissen, ich wollte, dass Saul mit mir sprach. Ich wollte die Wahrheit hören, ich wollte den Kodex sehen. War der Kodex die Wahrheit, oder war er nur noch eine weitere Version? Hier vor mir saß mein lebendiger Onkel. Wie sollte ich die Geschichte, die in ihm steckte, aus ihm herausbekommen, die Vergangenheit, die er repräsentierte, all die Erinnerungen, die mit ihm sterben würden?
Ich beugte mich mit allem Eifer, den ich aufbrachte, vor; sah seine Brille aufblitzen und seinen ausweichenden Blick. »Sprich mit mir, Saul.« Ich stellte mir vor, es zu sagen. »Erzähl mir, woher ich komme. Erzähl mir von früher.«
Elftes Kapitel
Das Wetter war regnerisch, und die Zisternen füllten sich. Auf der Wasseroberfläche schwamm durchscheinender Schaum, vielleicht die letzten Überreste ertrunkener Ratten.
Der Oktober war der
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