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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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wurde auf meine Tante Batsheva übertragen. Der Vermieter wohnte weit weg und hatte das Haus nur als Investition gekauft, die eines fernen Tages Früchte tragen sollte. Er wurde Ballebejssl genannt: der Hausherr.

    Für den Fall, dass er Jerusalem besuchen sollte, hatte er sich ein Gästezimmer ausbedungen. Meine Großmutter gehorchte und stellte ein Zimmer rechts des Wohnzimmers zur Verfügung. Es wurde nach seinem Besitzer benannt: das Ballebejssl für den Ballebejssl. Anfangs wischte meine Tante dort wöchentlich Staub, dann einmal im Monat. Schließlich wurde der Raum vollständig aufgegeben. Die Tür blieb abgeschlossen, die Fensterläden zu, und das Zimmer wartete im Dunkeln auf den Bräutigam, der niemals kam.
    Diese Tür, die jetzt mit dem Staub der Jahre überzogen war, hatte mich bei meinen Sommeraufenthalten in Kiriat Shoshan besonders fasziniert. Mir schien, dahinter läge nicht ein Zimmer, sondern viele: ein ganzes Haus voller unentdeckter Gemächer. Ich dachte, der Ballebejssl lebe dort in ständiger Dunkelheit wie ein Einsiedler in seiner Höhle. Ich legte das Ohr an die Wand und bildete mir ein, ihn auf der anderen Seite schwerfällig umhergehen zu hören. Ich legte mich auf die Lauer, erhaschte aber nie einen Blick. Ich kroch auf der Rückseite des Hauses herum und versuchte vergeblich, zwischen den abblätternden Läden hindurchzuspähen, aber der Boden senkte sich hier zu einer Grube ab, die voller Steine und Dornen und rostiger Metallteile war, den Überresten der Erdarbeiten aus der Zeit, als das Haus gebaut wurde. Ich kam nicht an das geheimnisvolle Fenster heran.
    Zu dieser Zeit gehörte Kiriat Shoshan bereits zu Jerusalem. Eine sechsspurige Straße trennte es von der Stadt. Auf dem Grundstück des Doktors waren Büros errichtet worden, und der Bungalow meines Großvaters war das letzte Gebäude von früher, das noch stand, umringt von einem wachsenden Wald von Wohnblocks.
    Er war ein Fremdkörper, ein Stück übrig gebliebene Geschichte: zu heruntergekommen, um attraktiv zu sein, zu neu, um interessant zu sein. Die, die das Haus liebten, hatten
es vernachlässigt. Sie weigerten sich, Geld in einen Besitz zu stecken, der nicht ihrer war. Und so blieben die Wände ungestrichen, die Elektrik primitiv. Die schwarz-weißen Fliesen im Wohnzimmer bekamen Risse und wurden nicht ersetzt. Die Fensterläden hingen aus den Angeln, das eiserne Tor rostete. Es dauerte nicht lange, bis das Haus von einer Vorahnung des eigenen Todes erfüllt war, die manche Häuser zu haben scheinen und die jeden Renovierungsversuch überdauert.
    Als ich aufwuchs, waren wir im Schnitt alle zwei Jahre zu Besuch. Wir kamen im Juli an, vegetierten den August hindurch so dahin und reisten Anfang September wieder ab, durch ein Europa, das verdorrt und erschöpft war vom langen, heißen Sommer. Mit den ersten kalten Herbststürmen waren wir wieder zu Hause. Das England, aus dem wir abgereist waren, war üppig und grün gewesen, und bei unserer Rückkehr wirkte es verlassen und vermüllt wie ein Strand nach einem Feiertag. Wir hatten alles verpasst, und die Zeit dazwischen war zäh wie Sirup vergangen, in einem Augenblick vorüber wie ein goldener, unwiederbringlicher Traum.
    Wir saßen im Haus, mein Bruder Reuben und ich, endlose Nachmittage hindurch, an denen wir beinahe starben vor Langeweile, während die Erwachsenen in trüben, abgedunkelten Zimmern schliefen, und jedes Geräusch, das wir machten, wie ein Verbrechen klang; an denen er, der sieben Jahre älter war als ich, die Kunst der Gleichgültigkeit sehr viel besser beherrschte und wir gemeinsam unser gesamtes Repertoire des einander Quälens und Ignorierens durchspielten, uns flüsternd stritten, unsere Schmerzensschreie unterdrückten, wenn wir einander »Brennnesseln« machten, und das Lachen, wenn wir keuchend hinausrannten in die sengende Sonne. Hier war es, in der schweißtreibenden Stille des Nachmittags, dass mein Bruder, ganz plötzlich ein
junger Mann, mir mit ruhiger Stimme erzählte, wie sehr er den Tod meines Vaters herbeisehnte. Hier war es, im Schatten der Zypressen, dass meine Kindheit endete.
    Das Haus war erfüllt vom Gespenst meines Großvaters, der etwa zur Zeit meiner Geburt starb und den ich nie gesehen habe, aber dessen erschöpfter Geist von Zimmer zu Zimmer wanderte und den müden Bewohnern das Leben aussaugte. Es beugte sich über das Bett, in dem meine Mutter reglos lag und unter dem Grabesgewicht ihrer Kopfschmerzen Traurigkeit atmete. Es wartete

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