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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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sagen: Der Kodex ist keine Fälschung. Er ist nicht korrumpiert.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
    Er antwortete nicht sofort, sondern starrte über das verlassene Grundstück und zeichnete mit dem Zeh Kreise. Ich hatte den Eindruck, er spiele mit mir. Vielleicht war er auch nur noch nicht sicher, ob er mir trauen konnte. »Ihr Onkel beschäftigt sich so mit dem Wert des Kodex«, sagte er schließlich. Dann sah er mir direkt in die Augen. »Aber sagen Sie mir doch bitte: Woher stammt der Kodex, und wie ist er dahingekommen?«
    »Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »Aber irgendwer wird es schon wissen.«
    »Nein, Gveret Shepher. Niemand weiß es. Niemand kennt die Wahrheit, außer mir.« Er ließ diese Erklärung einen Moment lang nachklingen, aber es lag nichts Selbstgefälliges in seinem sanften Ausdruck. »Es liegt an Ihnen, ob ich sie Ihnen ebenfalls anvertrauen kann.«
    Ich antwortete nicht. Mir war der Mann nicht geheuer, und außerdem ging mir sein überlegener Ton auf die Nerven. »Ich bin sicher«, sagte ich steif, »dass sich alles klären wird. Der Kodex wird von mehreren Experten untersucht.«

    »Ignoranten. Sie haben einen völlig falschen Ansatz.«
    »Das mag sein. Aber im Moment«, erinnerte ich mich selbst ebenso wie ihn, »liegt es nicht in unserer Hand. Wir können nicht viel tun.«
    Das akzeptierte er. Einen Augenblick standen wir schweigend unter den Zypressen. Ein leichtes Lüftchen ließ sein Gewand flattern. Ich roch den trockenen, erdigen Duft von Zypressenzapfen und Reisig, siebzig Jahre alt, zu feinem Pulver zermahlen unter unseren Füßen.
    Er lächelte, und die unendliche Freundlichkeit in seinen Augen nahm mich plötzlich für ihn ein. »Sie haben Recht«, sagte er schließlich. »Wir werden Geduld haben müssen. Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen abwarten.«
    Er drehte sich um und floh eilig über den Platz.

Zehntes Kapitel
     
    Neun Meilen außerhalb Jerusalems, auf der zerstörten Straße nach Bab el Wad, zogen sie die Rollos hoch und schauten hinaus. Mein Großvater warf zum ersten Mal einen Blick auf die Landschaft hinter Abu Ghosh: Hügel und Täler, Felsen und Sträucher. Gelegentlich ein Soldat. Bei Deir Ayub hielten sie an und kauften Orangen. Zwei deutsche Flugzeuge flogen tief über sie hinweg. Zwischen den Tälern erschien wie eine Fata Morgana eine berittene türkische Truppe.
    Das einzige Anzeichen von Krieg waren die langen Wagenkolonnen, die von der Küste ins Landesinnere fuhren; jedes Fuhrwerk mit Kindern, Möbeln und Haushaltsgegenständen voll beladen. Die Briten hatten bereits auf Jaffa geschossen. Tel Aviv wurde evakuiert. Hier auf der Straße nach Jerusalem sah man die profanen Auswirkungen: einen langsamen
Treck von Flüchtlingen, deren Schweigen und starre Blicke von ihrem Leid kündeten. Oben auf einem Haufen Kissen, Stühle, Decken und Federbetten saßen drei grimmig dreinschauende türkische Frauen. Plötzlich kippte der Stapel und riss sie mit hinunter.
    Während der Fahrt saß mein Großvater die meiste Zeit über mit einer Schulter im Gesicht und einem Ellbogen in den Rippen da und wurde in die harte Ecke des Autos gedrückt. Der Geruch der Körper war überwältigend. Sobald er versuchte, es sich ein wenig bequemer zu machen, bekam er einen verärgerten Stoß und hielt lieber so still wie er konnte, obwohl es weh tat. Ein Bucharer mit dem Gesicht eines Geiers beobachtete ihn die ganze Zeit.
    »Willst du Plätze tauschen, Jude?«
    »Nein danke, ich sitze hier gut.«
    Kurz vor Jaffa hielt der Wagen. Die Reise hatte drei Stunden gedauert. Der Fahrer fuhr vor dem Kontrollpunkt vor, einige Passagiere schlüpften hinaus und gingen um die Stadt herum, und nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichte mein Großvater Tel Aviv: ein paar weiße Häuser in den Sanddünen.
    Er hielt sich die schmerzenden Glieder und wartete vor dem Hotel Rosenberg auf das Auto, das ihn nach Petach Tikvah bringen sollte.
    Ein junger Mann, etwa in seinem Alter, in weißen Schuhen und mit dem Auftreten eines Künstlers, blieb stehen und lehnte sich neben ihm an die Wand. Er deutete auf die Straße, die voller Waren und Menschen war. »Hier ist alles vorbei«, sagte er.
    »Erst mal.«
    »Stimmt! Erst mal!« Der Mann lächelte ihn von der Seite an. »Wenn Sie irgendwas brauchen, dann kaufen Sie es jetzt. Ich kann Ihnen einen Kanister Benzin für fünf Francs
verkaufen. Vor ein paar Tagen hätte ich noch hundert bekommen!«
    Mein Großvater dankte ihm, brauchte aber kein

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