Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
habe nie Shalom Shepher gehört, sondern sei das Eigentum ihres Vaters, des widerwärtigen Zweiger.
Wie er überhaupt in die Hände der Zweigers gekommen sein sollte, konnte sie nicht belegen. Ihre Behauptungen zu seinen Gunsten waren ohnehin sonderbar. Zweiger, der große Gelehrte, Zweiger, der geschickte Uhrmacher (der, das wissen wir mit Sicherheit, nie eine Uhr gemacht, sondern sie nur repariert hat), Zweiger, der Erbe der umfangreichen Bibliothek von Isaak Raphaelovitch (kein Wunder, dass der Kodex im Besitz eines solchen Ignoranten gar nicht bemerkt wurde), Zweiger, ihr Vater (er ruhe in Frieden), hatte das Kästchen und den Kodex beim Tod seines Schwiegervaters, des seligen Shalom Shepher, geerbt.
Und warum hatte er ihn geerbt und nicht mein Großvater? Das sei doch völlig offensichtlich, sagte Sara Malkah. Da erübrige sich doch eine Antwort. Unter keinen Umständen hätte Reb Shepher diesem Freidenker, diesem Zionisten, etwas so Wertvolles vermacht.
Also musste er ihn gestohlen haben!
»Die arme Frau«, murmelte Cobby.
»Die arme Frau!«, wiederholte Fania ironisch. Und die Käfer verbrannten.
Das Fernsehen war inzwischen ernsthaft an der Sache interessiert, und Cobby konnte es kaum abwarten, vor die Kamera zu treten, zumal sein Radiointerview so gut gelaufen war. Wenn man sich ihren klischeehaften Abschiedsgruß »wir sehen uns vor Gericht« so anhörte, konnte man glauben, Sara Malkah selbst sei an der Titelrolle in dem geplanten Mehrteiler interessiert, der auf diesen Ereignissen basierte.
Das Abendessen war fertig: Wir gaben ein seltsames Trio an einem Ende des großen Familientischs ab, dessen Satelliten, Kinder und Enkelkinder, weggegangen waren, zum größten Teil nach Amerika. Cobby verschlang seine Suppe mit bäuerlichem Appetit, den Löffel in der Faust, das Gesicht dicht über der Schüssel; sich des Sturms scheinbar nicht bewusst, der sich vor seiner Nase zusammenbraute.
Ich spielte mit meinem Glas herum. »Meinst du«, fragte ich vorsichtig, »das Institut gibt den Kodex wieder zurück?«
»Zurück? Wem denn?«
»Uns. Dir. Ich meine«, versuchte ich unbeholfen, »lässt du ihn da, damit er in Sicherheit ist?«
»Ja, ja, zur Sicherheit. Das ist wahrscheinlich am besten.« Cobby griff nach einem Stück Brot, zerriss es zwischen den Händen und stopfte sich eine Hälfte in den Mund.
»Du isst ja gar nichts«, bemerkte Fania.
»Nein, ich hab keinen Hunger.«
»Du solltest aber was essen. Du bist zu dünn. Hast du Kummer?«
»Wieso«, ich lächelte steif, »soll ich Kummer haben? Und wann glaubst du«, fragte ich Cobby, »könnte ich hingehen und ihn mir anschauen?«
»Ihn dir anschauen? Wieso - glaubst du nicht, dass es ihn gibt?«
Ich wehrte Fanias Versuch ab, mir eine Latke auf den Teller zu legen, und antwortete: »Doch, natürlich - ich wollte ihn mir nur mal ansehen. Wenn du dort für mich nachfragen könntest, wäre das schön. Es interessiert mich sehr.« Ich fühlte mich wie in einer Zeitschleife gefangen, denn es war genau, wie ich befürchtet hatte: Meine erste Anfrage war vollkommen aus Cobbys Erinnerung verschwunden.
»Warum nicht? Ja, natürlich. Ich frage Shloime. Wozu«, er tippte sich an die Nase, »so ein bisschen Vitamin B doch gut sein kann, hm?«
»Und dann kann ich auch allein hingehen?«
Cobby hörte nicht zu. Er tunkte mit seinem Brotstück die Suppenreste auf.
»Cobby. Meinst du, er lässt mich rein?«
»Dich rein? Natürlich lässt er dich rein. Sag einfach, du bist meine Nichte. Ist doch nicht Fort Knox.«
Ich atmete erleichtert aus und entspannte mich. Ich hatte die beste Antwort bekommen, die ich mir wünschen konnte. Mit ein bisschen Glück würde sich Cobby am nächsten Morgen noch an unser Gespräch erinnern.
Nach dem Abendessen saßen wir im bläulichen Licht des Fernsehers beisammen. Fania machte sich in der Küche zu schaffen, und ich versuchte, ihn auf das Thema zu bringen, das mich im Moment am meisten beschäftigte, mehr noch
als der Kodex: Das Kriegstagebuch meines Großvaters, das ich übersetzt hatte, endete abrupt, als er Petach Tikvah erreicht hatte. Wusste Cobby, was ihm danach widerfahren war?
Mein Onkel war sehr vage über den Verbleib seines Vaters während des restlichen Krieges. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, kratzte sich das graue Gestrüpp seines Brusthaars und spekulierte: »Ich glaube, er hat sich in einer Scheune in Petach Tikvah versteckt. Oder«, rief er Fania zu, »war das, als er in Tel Aviv
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