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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Das Trugbild Schicksal: der verhängnisvolle Motor der Shephers.

Vierzehntes Kapitel
     
    Mitten in der Nacht wache ich von einem überraschenden Sturm auf.
    Donner krachen wie Bomben. Das Zimmer wird erhellt. Regen weht gegen das geöffnete Fenster. Ich stehe auf, um es zu schließen, und der ganze Himmel ist violett.
    Die Luft ist verraucht und tropisch warm. Über dem Dunst liegt der Geruch durchgebrannter Sicherungen.

    Ich bin fasziniert und voller Sehnsucht.
    Ich möchte eintönige Backsteine sehen und einen blassen Horizont, eine verwaschene Landschaft, nackte Hecken und einen zerfurchten Feldweg. Ich möchte das englische Wetter spüren, ein Novembernieseln, den Ostwind, den Nebel an einer Flussmündung.
    Zu Hause, zu Hause, zu Hause. Die ferne Dunkelheit und Sicherheit.
    Aval se lo shelanu .

Vierter Teil:
    Surprise View

Erstes Kapitel
     
    Als Moses auf den Sinai stieg, befestigte Gott, der Herr, Kronen an den Buchstaben des heiligen Texts. »Herr der Welten!«, sagte Moses. »Wofür diese Kronen?« Gott antwortete: »In kommenden Zeiten werden die Gelehrten aus jedem Buchstaben Dutzende von Lehren ziehen.« Moses wandte sich um und fand sich im Lehrhaus wieder. Er setzte sich hinter acht Reihen Gelehrter und hörte aufmerksam zu, wie sie einzelne Punkte des Gesetzes diskutierten. Der Disput war abstrus, und trotz gelegentlicher Verweise auf die Torah des Moses wurde Moses nicht schlau daraus. Er versuchte, der Debatte zu folgen, stellte aber nach einer Weile fest, dass er kein Wort verstanden hatte.
    Moses war verwirrt. Er war von dem niederschmetternden Gefühl der eigenen Unwissenheit erfüllt. Untröstlich kroch er aus dem Lehrhaus.
    Warum nahm dieser Vorfall Moses so mit? Ihm war ein wichtiger Punkt klar geworden. Erst im Lehrhaus erkannte er das Paradox in Sprache eingeschlossener Wahrheit und dass der schillernde menschliche Geist von jedem heiligen Wort sechshunderttausend Facetten zurückwirft.
    In einer Sekunde der Offenbarung sah er die Deutungsmöglicheiten einer Torah voraus, die einst nichts als ein Haufen Buchstaben gewesen war, die sich langsam verändern sollten, Buchstabe für Buchstabe, in einem Prozess der ständigen Neuinterpretation.
    Unter ihm tat sich ein Abgrund auf. Er wurde von einem
plötzlichen Schwindelgefühl ergriffen. Als er fast schon fiel, spürte er, wie die Schwingen Gottes ihn aufhoben.
    »Herr der Welten«, sagte er, »hast Du dies beabsichtigt?«
    »Schweig still«, sprach Gott, »denn dies ist mein Ratschluss.«

Zweites Kapitel
     
    Der Regen fällt schräg, er wird vom Wind in den Eingang des Wohnblocks gejagt, der überhaupt keinen Schutz bietet. Wir drängen uns an der Gegensprechanlage zusammen.
    »Toller Treffpunkt.«
    »Einen anderen gibt es nicht.«
    Regen tropft uns von den Gesichtern. Gideon steht keine zwanzig Zentimeter von mir entfernt. Ich rieche die Feuchtigkeit seines Kaftans.
    »Ist das erlaubt?«, frage ich.
    »Ist das was?«
    »Nichts.« Ich weiche aus. »Mit so einem Wetter habe ich nicht gerechnet.«
    Ich schaue hinaus in den Regen, der harsch über die verlassene Straße fegt, von den Blättern der Oleanderbüsche abspringt, festgetretenen Schmutz vom Gehweg löst.
    »Hier können wir nicht lange bleiben.«
    »Nein. Wir können nicht lange bleiben.«
    Er scheint allerdings keine Eile zu haben. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir vor, als wäre er schon wieder näher herangerückt.
    »Mein Onkel ist überhaupt nicht glücklich«, sage ich.
    »Weswegen ist er denn unglücklich?«

    »Deinetwegen.«
    Ich habe es mir nicht eingebildet. Er ist näher gerückt. Ich spüre seinen Atem, er ist warm in der kalten Luft. Seine grasgrünen Augen schimmern wässrig im gebrochenen Licht.
    »Du weißt, was sie über den Kodex sagen.«
    »Nein. Was sagen sie denn über den Kodex?«
    »Dass er korrumpiert ist. Eine abweichende Fassung.«
    Gideon lächelt zaghaft.
    »Macht dir das nichts aus?«, frage ich.
    »Nein. Macht es dir was aus?«
    Ich zittere. Meine dünne Bluse wird nass. Dennoch bemühe ich mich, Abstand zu ihm zu halten.
    »Ja, es macht mir was aus«, sage ich schließlich. »Es macht mir was aus, dass es dir nichts ausmacht.«
    »Weil du an die absolute Wahrheit glauben willst. Dir gefällt die Vorstellung nicht, dass es verschiedene Fassungen gibt.«
    »Nein«, protestiere ich verwirrt. »Das gefällt dir nicht. Du willst, dass alles absolut und gesichert ist.«
    »Nein«, sagt Gideon. »Das stimmt nicht. Ich will nicht, dass es

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