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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Dan.«
    »Klingt beeindruckend.«
    »Na ja, wissen Sie«, wieder ein Schulterzucken, »große Worte. Das Buch ist offensichtlich nicht annähernd so alt.«
    »Verstehe.« Ich lächle schmeichlerisch. »Dann halten Sie nichts von der Behauptung, dass er von den zehn verlorenen Stämmen stammt?«
    Er lächelt schief zurück. »Sie mögen solche Gutenachtgeschichten vielleicht glauben, Dr. Shepher. Aber ich bin ein seriöser Wissenschaftler. Sehen Sie mal«, fährt er fort und blättert abrupt um, entweder weil er Gewissensbisse hat,
oder weil er schnell vor dem lächerlichen Kolophon fliehen will, »ich kann Ihnen eine der Abweichungen zeigen, die Sie erwähnt haben. Hier, in der Genesis.« Er blättert durch zu der Passage und lässt mit einem ärgerlichen Mangel an Respekt für die Heiligkeit und das Alter des Buchs den Finger an den Spalten entlanggleiten. »Hier heißt es ›vayitzer‹ , ›und er schuf‹, mit zwei Yods . In der gängigen Fassung ist es nur eins, was, streng genommen, grammatikalisch inkonsequent ist.« Ich bin hellwach, wie elektrisiert: der Instinkt von Generationen steigt in mir auf. »Nu. Und so was. Kacha . Man muss schon etwas davon verstehen, um das einschätzen zu können.«
    »Bestimmt.« Ich riskiere etwas: »Würden Sie sagen, dass die Abweichungen den Text berichtigen, oder dass sie ihn noch weiter korrumpieren?«
    Er windet sich, als hätte ich ihm eine Schlange in den Hemdkragen gesteckt. »Berichtigen, korrumpieren. Warum denken Sie so schwarz-weiß? Bei Bibeltexten, müssen Sie wissen, zieht man nicht immer eine Lesart der anderen vor. Wir analysieren nur die Unterschiede. Wie Wissenschaftler.«
    »Natürlich«, sage ich unbestimmt.
    »Es ändert nichts an der Bedeutung. Das ist wie winzige Unterschiede in der DNA.«
    »Aber winzige Unterschiede in der DNA«, sage ich, »können doch große Unterschiede für den ganzen Organismus bedeuten, oder?«
    Wieder lächelt er sein schiefes Lächeln. »Wohl kaum. Solange wir hier nicht von geheimen Codes sprechen. Und Sie sind doch eine viel zu vernünftige junge Dame, um an so was zu glauben.« Er richtet sich auf. »Nun ja. Viel Spaß. Lassen Sie sich Zeit. Ich muss wieder nach oben. Wenden Sie sich an Dubi, wenn Sie irgendetwas brauchen.«

    »Vielen Dank. Ich weiß das sehr zu schätzen.« Er scheint dringend wegzuwollen, und so füge ich, vielleicht etwas zu eilig, hinzu: »Und ist es in Ordnung, wenn ich wiederkomme?«
    »Ja, ja.« Er winkt geistesabwesend ab. Meine Begeisterung verblüfft ihn offensichtlich. »Sie können kommen, so oft Sie wollen. Sagen Sie Dubi Bescheid, wenn Sie gehen.«
    Er verschwindet und überlässt mich mir selbst: allein im Gefängnis mit diesem begehrten Gefangenen. Ich wende die Seiten um und hole die kleine, hebräische Bibel hervor, die ich mitgebracht habe, um mit dem langen Prozess des Vergleichens und des Aufspürens von Varianten zu beginnen. Ich vertiefe mich in den Kodex, aber es ist hoffnungslos, jetzt auch nur damit anzufangen. Es würde Monate, Jahre gewissenhafter Arbeit erfordern. Ich muss mich vorerst mit dem Gefühl zufriedengeben, ihn zu berühren, zu lesen und zu entdecken.
    Ich kann nicht erklären, welche Empfindungen mich durchströmen, als ich dort in Einzelhaft sitze: Welcher Strom der Erkenntnis zwischen mir und diesem Buch fließt. Ich hatte es schon sanft gespürt, als ich mit Gideon darüber sprach. Jetzt, in der Unwirtlichkeit des Kerkers, überflutet und überwältigt es mich. Die schwarzen, freundlichen Buchstaben des hebräischen Texts kommen mir schöner vor denn je. Ich bewundere die Arbeit des lang verstorbenen Schreibers, stelle mir vor, wie er sich mit seiner Rohrfeder darüberbeugt. Ich blättere die perfekten Seiten um, spüre die Freude, die er an seiner Arbeit hatte, bewundere die Genialität und Klarheit. Der Kodex wäre die Vollendung meiner Forschung; ein wesentlicher Bestandteil der Entdeckung, die ich über mich selbst gemacht habe.
    Ich denke an die Verkettung von Ereignissen, die mich hierher geführt hat, an das heikle Zusammenspiel von Zufall
und Entscheidung, Glück und Überlegung, das mich hierher gebracht hat, nicht nur, was mein eigenes Leben betrifft, sondern über die Generationen hinweg. Jetzt sehe ich alles nicht mehr als zufällige Geschehnisse, sondern wie das vorherbestimmte Ergebnis einer chemischen Reaktion: als sei alles so gewollt, als habe es die Unvermeidlichkeit eines tieferen Sinns, mich an diesen Scheideweg meines Lebens zu stellen.
    Ich

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