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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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geblümten Hemdblusen. Die taillierten Kleider flogen in die Verkleidungskiste, zusammen mit dem seidenen Etuikleid, dem Topfhut und den abgenutzten Ziegenleder-Handschuhen. Wie ein verpuppter Schmetterling war sie immer noch schön, gepolstert von ihren fleischlichen Rundungen. Irgendwo in dem üppigen Panzer ihres Körpers wartete das Mädchen, das sie einmal gewesen war, darauf, wieder zum Vorschein zu kommen.
    Ich erinnere mich an das weiße Kleid, wie es Sommer um Sommer, Jahr um Jahr im Kleiderschrank hing. Eine Erinnerung, an der sie hing, eine Hoffnung, von der sie sich nicht verabschieden mochte. Bis ich eines Tages in den Schrank schaute und es nicht mehr da war.

Dreizehntes Kapitel
     
    Cobby ist seit einer halben Stunde im Bad. Fania klopft zum dritten Mal. Das Licht scheint hell durch die Glasscheibe über der Tür.

    »Nu. Was ist los?«
    Ein Rascheln; ein Ächzen. Eine schwache Stimme dringt heraus: » Jored li dam .« Ich blute.
    »Dann lass mich doch rein.«
    Wieder ein Ächzen, dann Stille. Fania schüttelt den Kopf. »Es macht ihn ganz krank. Diese ganze Bibelgeschichte - es macht ihn krank.«
    Ich ziehe mich schuldbewusst in den Schatten des Arbeits- und Gästezimmers zurück.
    »Hätte er das blöde Ding doch gar nicht erst gefunden! Meinetwegen soll es verbrennen. Es bringt nichts als Ärger über diese armselige Familie.«
    Ich sitze in der Dunkelheit auf dem Bett und sage nichts.
    Ich denke über den Kodex nach. Ich denke über Gideon nach. Mein Herz ist ein dunkler Knoten von Vorahnungen. Ich habe ein Geheimnis, und ich kann es niemandem erzählen.
    Ist es wirklich möglich, werde ich es tun? Im Moment kommt es mir lachhaft vor. Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich versuche, die Idee wegzulächeln, aber meine Lippen reagieren nicht. Ich muss mir eingestehen, dass es nicht zum Lachen ist.
    Gideon sagt, er bitte mich zu tun, was recht ist, aber wie soll ich wissen, was recht ist in diesem unerforschten Land, diesem Sturm von Fragen, diesem ungelösten Rätsel? Mein Instinkt ist eingerostet: Ich bin mein ganzes Leben lang auf Nummer sicher gegangen. Jetzt trete ich hinaus in die Leere, verlasse mich auf mein Gefühl, hoffe, dass allein die Stimme meines Herzen mich führen wird.
    Ich sitze so still da, wie ich kann. Ich halte den Atem an. Im grobkörnigen Halbdunkel höre ich mein Herz schlagen. Ich denke, wenn ich mich nur genügend konzentriere,
wird die Antwort kommen, wie ein Name, der mir auf der Zunge liegt, oder ein Wort, das in einem Anagramm versteckt ist. Ich werde den Schlüssel finden, der am Rande meiner Wahrnehmung liegt, auf quälende Weise außerhalb der Sichtweite. Das fehlende Puzzleteil. Aber mir kommt nichts Entscheidendes. Nur mein Herz drängt mich zum Handeln; mich, Shulamit, die so lange so wenig getan und gefühlt hat.
    Endlich kommt mein Onkel aus dem Bad. »Nein, nein, ich will kein Jod«, höre ich ihn jammern.

Vierzehntes Kapitel
     
    Meine Eltern kauften ein Haus im Bezirk Savyon. Ein kleines, weißes Haus in einem verwilderten Garten. Sie besaßen es fünf Jahre lang und haben nie darin gewohnt.
    Fünf Jahre lang wälzten sie praktische Probleme.
    Ich erinnere mich noch gut an die Geschichte des Hauses in Savyon: an eine kleine, quadratische, langsam verfallende Schachtel von einem Haus mit defekten Wasserleitungen, einer Klärgrube, bröckelndem Putz und kaputten Fensterscheiben. Und an den Garten voller Staub und verdorrten Stechginster. Jahr um Jahr sackte es immer mehr in sich zusammen und wartete darauf, dass jemand es in Besitz nahm. Einmal tünchten meine Eltern es, innen und außen, als würden sie einem armen, verrückten Verwandten ein sauberes Nachthemd geben. Ein Mieter zog ein, ein Herr Martelli, für fünf hasserfüllte Monate, nach denen er sich heimlich aus dem Staub machte, ohne die Miete bezahlt zu haben. Eine einzige Nacht schliefen wir dort auf Luftmatratzen, frierend und verängstigt, Eidechsen liefen an den Wänden entlang, und Ratten huschten herum. Die Wasserhähne stotterten
und brachten nichts hervor. Zweimal wurde es mutwillig beschädigt. Es war ein krankes Haus mit einem Riss darin, weil der Boden absank, und der Rat des Gutachters war, es abzureißen.
    Ich erinnere mich an die Geschichte des Hauses in Savyon: an die braunen Briefumschläge und das Geschrei am Telefon, die endlosen Fahrten zum Anwalt und die Fahrten von einem kleinen Büro in das nächste an heißen Jerusalemer Nachmittagen. Die dicke, schwarze Mappe auf dem

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