Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
unklaren Gesichtsausdrücke. Ihr eigener Mann war zu einem Einheimischen geworden.
Wohin sie auch ging, nahm sie ihren Roman mit - eine Ausgabe von Stolz und Vorurteil mit Goldschnitt. Sie trug ihn bei sich wie einen Talisman, der sie vor den Skorpionen schützen sollte. Sie nahm es mit an den Strand von Tel Aviv
und hatte es unter den Arm geklemmt, als sie am See Genezareth spazieren gingen. Die Familie machte Bemerkungen darüber und lachte über dieses Stückchen des alten England, an dem sie sich so beharrlich festhielt.
Nachts, im dunklen Gästezimmer mit der hohen Decke, dem bauchigen Schrank und dem Wald von Familienfotos, schaute sie zu, wie Amnon sich sorgsam und schweigend auszog: Wenn er sein Hemd aufknöpfte und seine Uhr ablegte, wirkte er wie ein Fremder, und es verunsicherte sie, ihn geheiratet zu haben. Er legte sich in der Dunkelheit neben sie. Sie blieb reglos und verängstigt und fragte sich, wer er war.
»Ich habe mich gefragt.«
»Was hast du dich gefragt?«
»Ob du dein Englisch verlernt hast.«
(Saul hatte unergründlich gelächelt, als sie einander vorgestellt wurden, und etwas vor sich hin gemurmelt, was sie nicht verstanden hatte. Später fragte sie Batsheva, was er gesagt habe. Batsheva übersetzte: »Er hat gesagt, dass Amnon schon immer dunkle Frauen mochte.«)
Am Morgen war er schon fort, als sie aufwachte. Er ging spazieren, morgens um fünf, im kühlen Grau der Morgendämmerung, das golden wurde, bis sie um neun Uhr auftauchte. Dann saß er da, auf der Stufe zum Garten, in der leichten Brise unter den Zypressen, und las die Zeitung. Sie ging ins Wohnzimmer, wo ihr Schwiegervater am großen Tisch saß und Briefe schrieb. Er lächelte; sie lächelte. Sie las in geselligem Schweigen ihr Buch. Ihr Hebräisch war nahezu nicht existent. Er hatte sein Studium von Ohlendorffs English Grammar nie beendet.
Einmal versuchte sie zu entkommen, den Feldweg hinter dem Haus hinunter, und war schon erschöpft, als sie unten ankam, entmutigt von einem plötzlichen Gefühl der Verletzlichkeit
und der Angst. Ein Mann im Gewand und Kopftuch hütete einige Ziegen. Sie fühlte sich unbefugt, machte kehrt und floh.
Später würde sie diesen Augenblick romantisieren, das Bild wie ein Gemälde im Kopf behalten: Arabischer Ziegenhirte in den Hügeln von Judäa. Schönheit und Friedlichkeit, Exotik und Nostalgie. Der Mythos erschuf sich neu in dem Moment, als sie zu Hause ankam.
All diese Sommer lag sie im abgedunkelten Zimmer und hegte die Kreatur ihrer schwarzen Kopfschmerzen: Ich erinnere mich an ihren regungslosen Körper, ihre Stimme aus dem Schatten, wenn ich ihr Tabletten brachte. Eine gemarterte, geschwächte, ungewohnte Stimme.
»Wo ist dein Vater?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann such ihn. Sag mir, was er macht.«
»Batsheva sagt, er ist nach Tel Aviv gefahren.«
Sommer um Sommer blieb das Kleid im Schrank, zur Seite geschoben von Kasacks, Schürzen, lauten Strandkleidern mit orangefarbenen und lila Streifen, schließlich von weiten Röcken und wogenden Kleidern. Es wurde ein bisschen brüchig, ein bisschen schmuddelig; es wurde eine Reliquie.
Das Kleid zog mit uns um, von Haus zu Haus: aus dem Reihenhaus mit dem Schlackenweg in die Doppelhaushälfte mit dem Rosengarten und in die Villa am Stadtrand mit der gepflasterten Auffahrt. Unter ihrer Aufsicht wurden wir gute Juden, gingen jeden zweiten Shabbat in die Synagoge, hielten die Feiertage ein und die Speiseregeln. Sie gab Partys und trat in die Lady’s Guild ein, organisierte Benefizgalas und Wohltätigkeitsdiners. Sie trug glitzernde schwarze Abendkleider. Ihr Lächeln blitzte weiß wie Porzellan durch den Raum, wenn ihr Blick ihm folgte wie der eines Falken. Sie beobachtete, wie die Damen der Lady’s Guild ihn betrachteten,
Mrs. Edelstein und Mrs. Goldberg vom Erziehungsausschuss. Er war immer noch so charmant, sie war immer noch so eifersüchtig.
(Dads Reaktion war zynisch gewesen, als Hazel und Amnon The Outlook Furniture Company gründeten (Geschäftsführer: A. and H. Shepher. Firmenmotto: »Built to Last …«) »Er hat kein Händchen fürs Geschäft«, sagte er. »Er wird immer Arbeiter bleiben.« Noch als er längst im Ruhestand war, fuhr er im Jaguar vor dem schönen neuen Grundstück vor, um das Geschäft zu inspizieren, mit den Arbeitern zu plaudern und Amnon daran zu erinnern, dass er ihm alles beigebracht hatte, was er konnte.)
Nach und nach war sie fett geworden, die geknöpften Kostüme verschwanden mit den
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