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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamar Yellin
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Schwäche. In diesem Moment begriff Moses das Paradoxon seines eigenen Willens.
    Alles ist vorherbestimmt, sagen die Rabbiner, und doch wird uns Entscheidungsfreiheit gewährt. Der Mensch wird den Weg geführt, den er gehen will.

Elftes Kapitel
     
    Das Ben-Or-Institut ist eine steinerne Pillendose inmitten steinerner Pillendosen unterschiedlicher Höhe in einem der westlichen Vororte. Ein dreistöckiges Gebäude an einem ruhigen Boulevard, neben einem kleinen Park, in dem ich in der Nachmittagssonne Sesambrot esse und einen Mitnehmkaffee trinke.
    Das Treppenhaus drinnen ist dunkel und vom Geruch nach altem Papier durchdrungen (ich habe Aufzüge noch nie gemocht, und in zwanzig akademischen Jahren hat mich meine Angewohnheit, in Instituten die Treppen zu nehmen, fit wie einen Bergsteiger gehalten). Von jedem Treppenabsatz aus sieht man durch die verschmutzten, vergitterten
Fenster die vielen Zypressen draußen. Die eigentliche Bibliothek liegt im dritten Stock. Sie ist von Neonröhren erleuchtet, zweckmäßig, bis zum Bersten gefüllt und auf tröstliche Weise vertraut für jemanden, für den jede Bibliothek ein Ersatzzuhause darstellt. Ein paar bebrillte Leser, ein paar fromme Studenten, sehen kurz zu mir auf, als ich vorbeigehe. Die Tür zum Büro am anderen Ende steht offen.
    »Miss Shepher. Shalom, shalom. Kommen Sie rein, nehmen Sie Platz, machen Sie es sich bequem.«
    Shloime Goldfarb, der stellvertretende Direktor des Instituts, ist ein großer Mann in unordentlichem Hemd, seine Glatze ist zum Teil von einem Gebetskäppchen bedeckt, und von seiner Taille hängen Schaufäden herab. Er riecht nach Achselschweiß und ist sehr geschäftig, sitzt ausladend hinter seinem Schreibtisch und telefoniert noch. Regale voller Bücher und Ordner und Hängeregistraturen, aus denen Zettel quellen, manche verblasst und verstaubt, andere frisch datiert, füllen die Wände. Ein unvergittertes Fenster geht zum Park hinaus. Ein Ventilator schnurrt sanft, obwohl es noch so früh im Jahr ist.
    Es herrscht die chaotische akademische Atmosphäre, die ich gewohnt bin und mag und die mich einlullt, obwohl ich sofort weiß, dass ich diesen Mann nicht mag, so laut, aufgeblasen und von sich überzeugt, wie er ist. Er wendet sich beim Sprechen mit seinem Stuhl von mir ab und untersucht seine Finger, tätschelt das Gebetskäppchen auf seinem Hinterkopf, lacht freudlos, aber mit einer gutturalen Tiefe, die an ein Erdbeben erinnert, und schließt: »Okay, Uri, b’seder, Shabbat shalom.«
    Dann wirft er den Hörer auf die Gabel, schiebt ein paar wichtige Papiere hin und her und lässt sich schließlich dazu herab, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken.
    »Also. Miss Shepher. Was kann ich für Sie tun?«

    »Dr. Shepher, bitte«, erkläre ich ihm. »Ich wollte fragen«, sage ich, »ob ich den Kodex sehen kann.«
    »Ja, ja, richtig! Verzeihung, das hatte ich ganz vergessen. Ihr Onkel hat es mir schon telefonisch angekündigt.« Er dreht nervös einen Kugelschreiber zwischen den Fingern, notiert sich ein paar Worte und schiebt einen Briefbogen herum. »Dann sind Sie also Cobbys Nichte. Na ja, ich bringe Sie zu dem Kodex. Er ist unten. Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
    Das Telefon hat schon wieder geklingelt. Er grabscht nach dem Hörer, dreht mir den Rücken zu und vertieft sich in ein längeres Gespräch.
    Ich bleibe stocksteif sitzen: die Tasche auf dem Schoß, die Hände gefaltet, lasse ich den Blick über die hebräischen Buchrücken schweifen: Ugarit , Jigal Jadins Hazor , ein paar englische Bücher und etwa dreißig Ausgaben des Journal of Biblical Studies.
    »Lo lo. Ken. Lo. As mah?« Shloime lacht kurz bellend. Der altmodische Wecker auf seinem Schreibtisch tickt trübselig.
    Schließlich wirft er den Hörer wieder hin. »Nu. Miss Shepher. Ich habe viel zu tun. Wollen wir runtergehen?«
    Was für ein Charmeur, denke ich. Bestimmt liebt ihn seine Frau. Als ich ihm durch die Bibliothek hinterhergehe wie ein neuer Lehrling, frage ich ihn, ob er schon Zeit für eine eingehende Untersuchung des Kodex gehabt habe.
    »Wie - Untersuchung? Was wollen Sie denn damit sagen?« Seine Antwort kommt so scharf, dass ich annehmen muss, einen empfindlichen Punkt berührt zu haben.
    »Ich will gar nichts sagen. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie schon etwas herausgefunden haben.«
    Er zieht die schwere Tür auf und stößt das Gitter des beunruhigend alten Aufzugs zurück.

    »Das sind doch nicht die Schriftrollen vom Toten Meer. Es ist eine Keter

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