Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
denke auch an die Entscheidung, die ich jetzt fällen muss, und was sie an Selbstverleugnung bedeutet. Es wäre eine üble Tat und eine unsinnige, eine völlig verrückte Tat. Dennoch bin ich von der Vorstellung fasziniert, so schlecht und abscheulich sie auch sein mag, von der bloßen Chuzpe dieser Aktion. Allein der Gedanke an Sara Malkahs Gesicht. Kann ich mir das irgendwie erlauben? Mich erregt die Symmetrie dieser Idee, die süße Gerechtigkeit, etwas zu stehlen, um einen Diebstahl wiedergutzumachen. Es eigentlich nicht zu stehlen, sondern zurückzugeben: dem rechtmäßigen Eigentümer sein Hab und Gut wiederzugeben.
Gideon.
Gideon, mit seinen hellen Augen und seiner ruhigen Beharrlichkeit, seiner merkwürdigen Jenseitigkeit und noch merkwürdigeren Vertrautheit, seiner inzwischen beinahe unerträglich begehrenswerten Anwesenheit: Glaube ich ihm also? Ich muss mich entscheiden zu glauben, auch ohne harte Beweise. Nur aufgrund der Kraft meines Gefühls.
Und wenn dieses Gefühl mich nicht täuscht, wenn ich ihm nachgebe, was bedeutet das für die Zukunft, für meine weiteren Entscheidungen? All die Jahre hielt ich mein Herz in einer Kiste unter Verschluss wie mein Urgroßvater den Kodex, den er die Jaffa-Straße auf und ab trug: ein Herz in einer Kiste auf einem Dachboden, jetzt wiederentdeckt. Muss ich es jetzt untersuchen, muss ich seine Fehler, seine
Mängel aufspüren? Das Klopfen meines Herzens singt mir in den Ohren. Ein Puzzlestück fehlt immer noch.
Als ich schließlich aufsehe, stelle ich fest, dass das Licht in den grausigen Kellerfenstern sich verändert hat. Steif und widerwillig stehe ich auf, um zu gehen. Ich lasse den Kodex auf dem Tisch liegen, wie besprochen: Ich weiß, dass man mir zumindest bei meinem ersten Besuch nicht so weit traut, dass ich ihn selbst an seinen Platz im Regal zurückstellen könnte. Bei wiederholtem Auftreten, hoffe ich, wird das Teil des Ablaufs werden. Ich trete aus der Nische heraus, rücke meine Schultertasche zurecht. Als ich am Kabuff des Archivars vorbeikomme, stecke ich meinen Kopf hinein.
»Vielen Dank. Ich gehe dann jetzt.«
Der alte Mann, der den Fernseher anstarrt und wie eine Schildkröte an einer gefüllten Pita knabbert, nimmt mich nur am Rande wahr und grunzt kaum hörbar. Ich drücke auf den Knopf und betrete den Lift, fahre erfrischt aus den Eingeweiden der Erde hinauf und kehre völlig ungehindert in die Außenwelt zurück.
Zwölftes Kapitel
Ich erinnere mich an das weiße Kleid, wie es Jahr um Jahr im Schlafzimmerschrank hing und darauf wartete, dass sie es wieder würde tragen können; daran, dass es nach Kampfer und ein bisschen nach Staub roch, dass es schön und unerreichbar war wie ein unwiederbringlicher Augenblick der Jugend. Ich weiß noch, wie ich immer über dem Foto gebrütet habe, diesem unglaublichen Bild von meiner Mutter: schlank und strahlend, mit einer Kette aus roten Steinen, die Augen dunkel, das Haar unter dem Hut wie ein dunkler Heiligenschein.
Sie hat sich hier nie wohl gefühlt, vom ersten Besuch an nicht, als sie wie ein Filmstar am Pier von Haifa ankam. Diesen ersten Eindruck verwand sie nie. Später nahm sie Miriam vertraulich beiseite. »Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet«, sagte sie, »dass hier so viele Araber sind!« »Na ja!«, sagte Miriam. »Was hast du denn gedacht?« Sie hatte sich auf blauen Himmel und lachende Gesichter gefreut, auf grüne Boulevards, weiße Siedlungen, herausgeputzte historische Bauwerke, auf die wahr gewordenen Lagerfeuerlieder der Youth Guard. Stattdessen fand sie Armut und Fremde, Angespanntheit und schlechte Laune, primitive Sanitäranlagen und Skorpione.
Aber am meisten machte ihr die Hitze zu schaffen: Die Hitze, die sich wie weiße Binden um ihren Kopf wickelte und sich langsam stramm zog, bis Augen und Gehirn pochten und sie gezwungen war, sich in ein abgedunkeltes Zimmer zurückzuziehen. Die Hitze, die ihr in Strömen den Leib und die Beine hinunterrann, auf unangenehme Weise zwischen ihren Schulterblättern hindurchtröpfelte; von der es nur abends eine Erleichterung gab, wenn die Mücken kamen.
Abends trat das Stimmengewirr im Wohnzimmer in den Vordergrund, sie ließ es an sich ablaufen wie ein Kieselstrand das Wasser, schläfrig, verständnislos. Sie spürte einen Luftzug von der Veranda hereinwehen und dachte, sie habe eine solche Szene schon mal in einem Buch beschrieben gelesen. Sie beobachtete und hielt sich zurück, bemerkte die anschaulichen Gesten, die
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