Das Vermächtnis des Templers
klarzumachen, wie aufwendig es war, das Schreibmaterial bereitzuhalten.
Als wieder die Notwendigkeit bestand, Tinte herzustellen, durfte Johannes dabei sein. Jordanus und zwei weitere Brüder waren eine Woche lang beschäftigt, die nötigen Farben herzustellen und neues Pergament zu gewinnen.
Man nutzte Ruß, um Schwarz zu erzeugen, Safran und Ocker für Gelb, Indigo und Holunderbeere für Blau, Umbra für Braun. Einige Tinten wurden in Eiklar gelöst und mit Grünspan für Grün oder Mennig für Rot verbunden. Als Braun verarbeiteten die Mönche Sepia. Für die Schrift wurde Eisengallustinte erzeugt. Johannes erkannte schnell, dass die Brüder in diesen Dingen sehr kundig waren. Jordanus hatte auch gesagt, dass es Bücher gab, in denen bewährte Rezepturen verzeichnet und erklärt waren. Doch die Loccumer Brüder schienen selbst zu wissen, was zu tun war. Johannes konnte auch dabei zusehen, wie aus Kalbs-, Ziegen- und Lammhäuten Pergament gewonnen und anschließend mit einem Bleigriffel liniert wurde.
Tatsächlich ging der Junge seither vorsichtiger mit dem Schreibmaterial um, denn es war ihm deutlich geworden, wie immens wertvoll die Buchsammlung des Klosters sein musste und wie vielfältig die Erfahrungen waren, die die Mönche über Jahrhunderte darin gesammelt hatten. Von nun an wollte Johannes nicht nur Schriftzeichen zu Papier bringen, sondern auch verstehen, was man aus diesen Büchern erfahren konnte.
Obwohl die Tätigkeit im Scriptorium sehr aufwendig war, blieb doch auch Zeit für die Arbeit bei den Konversen. Johannes besuchte weiterhin regelmäßig den Schmied. Er versuchte, dem alten Mann möglichst viel abzuschauen, und erwarb sich alsbald eine gewisse Fertigkeit im Erhitzen, Formen und Treiben von Legierungen aus Kupfer und Zinn sowie von Eisen. Außerdem war die Schmiede in kalten Jahreszeiten einer der wenigen beheizten Orte im Klosterbereich. Das machte den Aufenthalt dort zusätzlich angenehm. Eines Tages fand er den alten Schmied bei einer außergewöhnlichen Arbeit. Er hielt ein Schwert in den Händen, richtete es ins Licht und musterte es von allen Seiten. Als er den Jungen bemerkte, winkte er ihn heran.
«Schau einmal», begrüßte er Johannes. «Was sagst du dazu?»
Er gab dem Jungen das Schwert. Der konnte es nur mit beiden Händen halten, denn es war von beachtlichem Gewicht. Dieses Schwert hatte eine gerade, doppelschneidige Klinge, die auf ganzer Länge mit Mustern versehen war und von einem kreuzförmigen Griff gehalten wurde, an dessen Ende der Junge einen ins Metall getriebenen Totenkopf bemerkte.
«Ein ganz wunderbares Stück», sagte der Schmied. «So etwas haben wir hier sehr selten.»
«Wem gehört es?», wollte der Junge wissen.
Der Schmied schüttelte den Kopf.
«Das kann ich dir nicht sagen.»
«Hier im Kloster trägt niemand ein Schwert.»
«Richtig. Aber manchmal suchen Ritter eine Unterkunft im Kloster. Und dann kann es sein, dass sie mir ihr Schwert geben, um es zu schärfen.»
«Hast du selbst schon einmal ein Schwert angefertigt?»
«Das ist lange her», sagte der Schmied. «Als ich noch nicht hier im Kloster war, hatte ich bei meinem Meister die Möglichkeit, das zu lernen. Man muss sich gut mit den verschiedenartigen Metallen auskennen, muss wissen, wie sie gehärtet werden. Und man muss Metall treiben können. Aber ich habe das lange nicht mehr getan.»
Der Schmied nahm das Schwert wieder an sich, drehte es im Feuerschein hin und her und betrachtete es erneut sehr aufmerksam. Dann begann er, es am Stein zu schärfen.
In der Nacht träumte der Junge von dem Schwert. Es sah das Metall im Feuer der Schmiede aufblitzen, sah, wie ein Mann in weißem Gewand die Klinge kritisch musterte und sie kurz darauf durch die Luft sausen ließ, um den schmalen Ast eines Baumes zu durchtrennen.
Wochen und Monate vergingen. Ein Tag ähnelte dem anderen. Das Gleichmaß der klösterlichen Ordnung ließ die Zeit vergessen. Allein die Natur zeigte an, dass das Jahr voranschritt. Fast unmerklich war es Frühling geworden. Noch im Februar hatte Raureif die Erde bedeckt, hatte der Boden unter den Schuhen geknirscht, wenn Johannes vom Kloster zu den Fischteichen gewandert war. Nun schien alles verwandelt, neugeboren zu sein. Die Rotbuchen verloren endgültig ihre alten Blätter, und binnen weniger Tage waren die neuen hervorgewachsen. Auch jene Bäume, die im Winter kahl gewesen waren, hatten bald ihre grüne Pracht zurückerhalten. Wenn Johannes sah, wie sich die Sonne auf der glatten
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