Das Vermächtnis des Templers
Rückseite und gelangten in einen Garten. Etwas entfernt erhob sich die Silhouette der Kathedrale in die dunkle Nacht. Johannes war von diesem Anblick so überwältigt, dass er stehen blieb und gebannt den Weg der aufstrebenden Türme in den Himmel verfolgte. Es war ihm, als würde er dort ganz oben in schwindelerregender Höhe Rinder erkennen. Doch diese Vorstellung erschien ihm so unglaublich, dass er seinen Blick abwandte und Jacques suchte, der bereits den Garten betreten hatte.
Bald standen sie vor einer kleinen Kapelle, deren Gestalt sehr ungewöhnlich war. Johannes erblickte einen schmalen Vorbau, etwa so hoch wie eines der Steinhäuser. Ein Rundbau schloss sich daran an. Er sah hinauf zum Dach und meinte dort spielende Katzen zu erkennen. Für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, dies alles nur zu träumen. Doch Jacques griff ihn am Arm und zog ihn weiter.
Durch einen kleinen Vorraum gelangten sie in das von Kerzen erleuchtete Innere der Kapelle. Dort standen die Ordensbrüder entlang der runden Mauer im Kreis, gekleidet mit dem weißen Mantel der Templer, und ließen das Invitatorium erklingen, das Johannes gut kannte: Ein großer Gott ist unser Herr, ein großer König über alle Götter. In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, sein auch die Gipfel der Berge. Sein ist das Meer – er hat es gemacht, sein auch das Festland – seine Hand hat es gebildet. Ziehet ein! Denn er ist unser Gott, und wir das Volk seiner Weide und die Schafe in seiner Hand.
Johannes erinnerte sich: Die Vigil war das Symbol des Erwachens. Aus der Welt des Schlafes, des Traums führte sie in eine neue Wirklichkeit. Weil so viel Verwirrung und Ruhelosigkeit im Menschen ist, mahnte die Vigil zuzuhören. Die Mönche würden heute erfahren, was allen gläubigen Mensch verkündet war: «Siehe, ich mache alles neu.» So sagt Johannes in der Offenbarung.
Johannes hörte in sich den eigenen Namen. Das ließ ihn aufmerken. Dann erfüllte der Gesang den kleinen Raum der Kapelle. Hymnus, Psalm und Lesung folgten aufeinander.
Wie viel Vertrauen in diesem Stundengebet ist, dachte Johannes. Kann man einem Neuanfang so sehr vertrauen? Gehört zum Neuanfang nicht immer auch die Angst? Der Zweifel? Aber was bleibt uns, wenn nicht das Hoffen?
Dann verstummte der Gesang. Gemeinsam mit Jacques trat einer der Brüder auf Johannes zu und führte ihn in den inneren Kreis, der aus acht Säulen gebildet wurde. Man forderte ihn auf, sich niederzuknien. Eine Stimme erklang.
«Johannes von Loccum, begehrt Ihr die Gemeinschaft des Templerordens und wollt Ihr an seinen geistlichen und weltlichen Werken teilhaben?»
Überrascht, seinen Namen an diesem Ort zu hören, hielt Johannes einen Augenblick inne, bevor er die Frage des Ordensmeisters bejahte.
Einer der Brüder, die im äußeren Kreis standen, sprach stellvertretend für alle:
«Ihr strebt nach Großem. Von unserem Orden seht Ihr nur den äußeren Glanz. Ihr seht unsere schönen Pferde, schönen Rüstungen. Ihr seht, wie gut wir essen und trinken. Ihr seht unsere schönen Gewänder und glaubt vielleicht, Ihr hättet ein gemütliches Leben bei uns. Denn die strengen Regeln, die für den Orden gelten, seht Ihr nicht. Es ist ein großer Schritt, den Ihr zu tun begehrt. Ihr, der Ihr Euer eigener Herr seid, macht Euch zum Diener eines anderen. Denn Ihr werdet nur selten das tun dürfen, was Ihr begehrt. Wollt Ihr im Abendland weilen, schickt man Euch ins Heilige Land. Wollt Ihr nach Akkon, schickt man Euch nach Tripolis. Wollt Ihr schlafen, werden wir Euch befehlen zu wachen, und manchmal, wenn Ihr wachen wollt, werden wir Euch zu Bett schicken. All dies müsst Ihr erdulden zu Eurer Ehre, Eurer Rettung und Eurem Seelenheil. Möchtet Ihr dies wirklich tun?»
Johannes hatte die Worte gebannt verfolgt und bejahte sie. Dann hörte er Jacques sprechen.
«Der Novize wurde nach angemessener Zeit in den Orden der Zisterzienser aufgenommen. Er ist durch die Welt gereist, um sich auch als Novize des Ordens der Tempelritter würdig zu erweisen. Er hat die Schriften der Väter mit ganzem Herzen studiert. Er hat die Vortrefflichkeit des Kriegers erlangt. Er ist nicht verlobt, verheiratet, verschuldet, exkommuniziert, nicht Mitglied eines fremden Ordens. Er ist von kraftvollem Geist und ebensolchem Körper. Er folgt in seinem Denken und Tun der heiligen Kirche und lehnt den ketzerischen Glauben ab.»
Im Anschluss an diese Worte wurden Johannes die Augen verbunden. Einer der Brüder führte ihn durch die Vorhalle
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