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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Andreas Marx
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überlegen, um zu verstehen, was Johannes meinte.
«Wir sind die, aus denen die große Kathedrale, das ewige Jerusalem gebaut wird», sagte er. «Wir sind die Steine.»
    «Die Kathedrale birgt das Geheimnis der Templer.»
    Mit diesem Satz hatte Alanus seinen Schützling allein gelassen, als sie von ihrem Ausflug zum Ordenshaus zurückgekehrt waren.
    Johannes war sich nicht sicher, wie ernst er diesen Satz nehmen sollte, aber nach dem, was er an diesem Morgen erfahren hatte, gab es für ihn keinen Zweifel, dass die große Kathedrale nicht nur aus Stein, sondern auch aus Zahlen erbaut worden war. Diese Zahlen waren Symbole, aber in Verbindung zueinander gestellt, ergaben sie die Gesetze der Welt.
    Die folgenden Tage waren wieder ganz von jenem Rhythmus geprägt, den der Wechsel von Gebet und Arbeit dem Mönch auferlegte. Seit dem Besuch der Kathedrale schienen Johannes die Gesänge und die Kontemplation während der Stundengebete wirkmächtiger geworden zu sein. Die Arbeit im Scriptorium blieb nach wie vor eine wenig erbauliche Tätigkeit, aber er nahm sie als seine Pflicht an, getreu dem Eid, den er abgelegt hatte. An Tagen wie diesen, an denen die Hitze des Hochsommers erbarmungslos auf Tiere und Menschen niederging und selbst die Steine der Gasse nahezu unbegehbar heiß werden ließ, war der Aufenthalt im kühlen Raum zudem sehr angenehm. Dennoch wurde Johannes mit jedem Schriftstück an die geheime Welt der Zahlen erinnert. Das Wissen darum, dass es hier etwas zu entdecken gab, das vielleicht alle Fragen und alle Geheimnisse auflösen konnte, faszinierte ihn zutiefst und ließ ihm keine Ruhe mehr.
    Eine Woche nach dem Besuch der Kathedrale trat der Ordensmeister nach der Vesper auf Johannes zu und bat ihn zu bleiben. Der war überrascht und zugleich beunruhigt, denn es geschah nicht oft, dass der Rhythmus des Tages für Gespräche unterbrochen wurde. Gemeinsam warteten sie, bis die Brüder den Speisesaal verlassen hatten.
    «Ich habe von deinem Interesse für die Zahlen gehört», begann Anselmus. «Eigentlich solltest du etwas später mit deren Studium beginnen, aber Alanus sagte mir, dass es dich nach dem Wissen verlangt, und so soll es dir nicht vorenthalten werden.»
    Johannes hatte überrascht aufgeblickt.
«Von morgen an sollst du für jeweils zwei Stunden das Ordenshaus der Augustiner besuchen», fuhr Anselmus fort. «Zwischen Terz und Sext wird man dich dort erwarten und die Fächer des Quadriviums, Musik, Astronomie, Arithmetik und Geometrie, lehren. Dort findest du auch eine Bibliothek, in der du deine Studien vertiefen kannst.»
Johannes nickte.
«Aber nutze die Zeit gut. Nur wenige unseres Ordens dürfen diesen Weg gehen.»
Johannes kniete vor dem Ordensmeister nieder und küsste den Ring, wie es die Regel des Ordens als Ehrenbezeugung vorsah.
Anselmus hieß den jungen Mönch aufstehen und hatte sich schon zur Tür gewandt, als Johannes langsam zu sprechen begann.
«Meister», sagte er, «werde ich in den Zahlen die großen Wahrheiten finden?»
Anselmus blickte ihn erstaunt an. Er überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete.
«Es wird der Tag kommen», sagte er, «an dem ich dich frage, ob du die großen Wahrheiten gefunden hast.»
Wohlwollend blickte er Johannes an. Dann wandte er sich zur Tür.
    Am folgenden Tag machte sich Johannes sehr früh mit seinem Bogen auf den Weg zum großen freien Platz hinter dem Bischofspalast. Als er die äußere Mauer der Stadt erreicht hatte, blickte er von dort hinab auf das weite Tal. Die Sonne stand noch sehr tief, so dass sich ein zerbrechliches Orangerot über das Land gelegt hatte, das alles Leben in einen versöhnlichen Gleichklang tauchte und zugleich alle Kontraste eindrücklich hervorscheinen ließ. Die Sicht war so klar, dass Johannes über die Stadtmauer hinweg in weiter Ferne die Ausläufer eines Waldes erkennen konnte.
    Er erreichte den Sandplatz, wählte einen der Bäume als Ziel und begann seine Übung. Zunächst setzte er sich auf den Boden und versuchte, alle Gedanken und Empfindungen, alle Erinnerungen und inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen. Nach einer Weile erhob er sich und ergriff den Bogen.
    Der Bewegungsablauf des Spannens, die willenlose Konzentration und das selbstvergessene Lösen der Sehne gelangen auch an diesem Tag. Dabei wäre es ihm nicht wichtig gewesen, das Ziel genau zu treffen, doch war dies ein Beweis dafür, dass jene neuen Dinge, die seinen Geist einnahmen, die erworbene Kunstfertigkeit nicht minderten.
    Auf dem Weg

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