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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Andreas Marx
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studierten die beiden Mönche aufmerksam die vielen hundert Skizzen Villards. Am Ende war ihnen klar, welche Kunstfertigkeit, welch immenses handwerkliches Können nötig war, um all dies zu schaffen. Hinweise auf Berechnungen der Bauwerke fanden sich aber auch hier nicht.
Eines Tages sprach Johannes Alanus auf diese Beobachtung an. Der nickte nur.
«Kein Baumeister verrät die innersten Geheimnisse seiner Kunst. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation unmittelbar weitergegeben. Du wirst es in keinem Buch finden. Vieles beruht dabei auf Erfahrung und lässt sich nicht mit geometrischen Formen oder mit Zahlenreihen darstellen.»
«Aber es muss doch möglich sein, diesem Wissen nachzuforschen», entgegnete Johannes.
Alanus überlegte.
«Ich habe dich in die Kunst der Arithmetik eingeführt. Es ist wohl an der Zeit, dich auch die Grundlagen der Geometrie, Musik und Astronomie zu lehren. Das könnte dich ein wenig weiterbringen.»
«Geometrie und Musik? Sind das nicht ganz unterschiedliche Dinge?», entgegnete Johannes nachdenklich.
«In Wahrheit nicht. Immer geht es um Harmonie. Du musst allerdings Geduld haben.» Alanus lächelte.
«Die Dinge sind sehr verwickelt.»
    In den folgenden Tagen studierte Johannes im Scriptorium der Augustiner vor allem jene Künste, die Alanus ihm empfohlen hatte. Gemeinsam mit Jorge suchte er zunächst nach Schriften zur Geometrie, die zugleich einen Bezug zum Kathedralbau hatten. Doch die schien es nicht zu geben.
    Jorge erinnerte sich, in Platons Dialog «Timaios» über die Bedeutung der Formen gelesen zu haben. Tatsächlich wurden sie hier fündig. Platon behauptete in dieser Schrift, dass alles, was entstehe, einen rechtmäßigen Grund und ein Prinzip habe. So seien die Zahlen und die Geometrie zugleich Ordnungsstrukturen und Entstehungsmuster. Aus ihnen konzipiere ein Baumeister sein Werk, bevor es dauerhaft umgesetzt würde.
    Ebenso interessant wie Platons Worte waren die Illustrationen in diesem Band. Eine zeigte Gott als Baumeister, wie er mit dem Zirkel einen Kreis schlägt, innerhalb dessen sich Land, Wasser, Kosmos und Gestirne befanden. Jorge fühlte sich dadurch an einen Satz aus Salomos Buch der Weisheit erinnert: «Gott hat alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.»
    Auch bei Augustinus fand Jorge diesen Gedanken wieder, doch handelte es sich hier wohl mehr um eine Lobpreisung. Johannes las: «Wenn jemand aus allen Künsten die Rechenkunst und die Messkunst und die Waagekunst ausscheidet, so ist es, geradeheraus gesagt, nur etwas Geringfügiges, was von einer jeden dann noch übrig bleibt. Als Schönheit von Gestalt will ich nicht das bezeichnen, was wohl die meisten glauben möchten, wie etwa die Schönheit lebender Körper oder gewisser Gemälde. Als schön bezeichne ich vielmehr etwas Gerades und Kreisförmiges und aus diesen wiederum die Flächen und Körper, die gedreht oder durch Richtscheit und Winkelmaß bestimmt werden, denn diese sind immer und an sich schön und haben eigentümliche Lust.» Augustinus fuhr fort, indem er das gleichseitige Dreieck als schöner bezeichnete als das ungleichseitige, weil mehr Gleichheit in ihm sei. Schöner noch sei das Quadrat, in dem gleiche Winkel und gleiche Seiten gegenüberstehen. Am schönsten aber sei der Kreis, bei dem kein Winkel die kontinuierliche Gleichheit des Umrisses unterbricht.
    In einem Werk des Isidor von Sevilla entdeckten Jorge und Johannes ähnliche Gedanken: Man nehme die Zahl aus allen Dingen, und alles gehe unter. Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie seien Methoden, von denen Gebrauch gemacht werden solle, um das vollkommene Ebenmaß des Schöpfers in allen Dingen sichtbar werden zu lassen. In den Zahlen zeige sich der Bauplan des Universums.
    All diese Schriften verwiesen auf eine Ordnung, die es zu verstehen galt, aber sie drangen nicht wirklich in diese Weisheit ein. Auch Jorge war bald der Meinung, dass nur im forschenden Umgang mit den Künsten mehr Einsicht zu erwarten sei.
    Und so legte Johannes die Bücher beiseite.
Während der Stunden des Bogenschießens beobachtete er all die Besonderheiten, die ihm die Natur darbrachte, und es war ihm, als bemerke er dabei eine andere Schönheit als die, von der Platon und Augustinus sprachen. Gerade die Erfahrung, dass kein Baum wie der andere ist, schien ihm wesentlich. Das Außergewöhnliche, das Einzigartige verlieh allem Lebenden Schönheit und Sein. Dies erlebte er auch, wenn er mit dem Bogen unterwegs war: Jeder Schuss, so sehr er sich

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