Das Vermächtnis des Templers
dass die Disziplin vieler Brüder nachgelassen hat, weil sie weder im Krieg noch bei der Betreuung von Pilgern benötigt werden. Es sind allzu oft nicht mehr die alten Templertugenden, die in den Komtureien gepflegt werden. Viele Unwürdige befinden sich inzwischen in unseren Reihen. Die Idee, den Orden zu reformieren, ist vor zwei Jahren von uns selbst an den Papst herangetragen worden. Doch es wurde schnell deutlich, dass Clemens an einer Erneuerung des Ordens kein Interesse hatte. Im Gegenteil. So mussten wir selbst einen Weg der Erneuerung finden. Der Orden wird durchs Feuer gehen. Er wird unsichtbar werden und sich neu formieren.»
«Unsichtbar? Was meint Ihr damit?», fragte Alanus.
«Der Orden wird offiziell aufgelöst, noch dazu von feindlicher Hand. Gibt es einen glaubwürdigeren Tod?»
«Das klingt sehr klug», warf Anselmus ein. «Doch wie sieht die Zukunft aus?»
«Überall auf der Welt werden wir auferstehen. Als Unsichtbare, die verbunden sind durch unser Wissen und unsere Symbole. Und durch unser Geheimnis.»
Einen Moment schwiegen die vier Männer.
«Was wird mit uns geschehen, die wir hier sitzen?», fragte Johannes schließlich.
«Zunächst werdet Ihr Laon verlassen. Jeder von Euch erfährt von mir das Ziel seiner Reise. An diesem neuen Ort werdet Ihr in Sicherheit sein.»
«Wieviel Zeit haben wir?», wollte Alanus wissen.
«Ihr habt keine Zeit. Ihr müsst Laon umgehend verlassen. Sofort.»
Johannes sah zu Alanus, dann zu Anselmus, dann zu Jacques. Es dauerte einige Sekunden, bis er wirklich verstanden hatte, dass er diese Männer vielleicht zum letzten Male sah.
Jacques erhob sich.
«Es bleibt keine Zeit. Wir müssen uns aufmachen. Verabschiedet Euch. Ich werde oben in der Kammer auf Euch warten, um jedem das Ziel seiner Reise mitzuteilen.»
Mit diesen Worten verließ Jacques den Raum. Die anderen saßen noch immer wie benommen am großen Tisch des Speisesaals.
Anselmus erhob sich, ging auf Alanus zu und umarmte ihn.
«Gottes Segen mit dir, Alanus», sagte er. «Du kennst alle Weisheit der Templer. Das wird dir auf dem Weg Stärke geben.»
Dann wandte er sich Johannes zu und umarmte auch ihn.
«Gottes Segen mit dir, Johannes. Du hast den längsten Weg, aber du bist jung. Du wirst dein Ziel erreichen.»
Schließlich nahmen auch Alanus und Johannes voneinander Abschied. Sie taten dies, ohne ein Wort zu sprechen.
Jacques stand am Fenster und blickte hinaus auf die Gasse. Als Johannes die Kammer betrat, drehte er sich um, kam auf ihn zu und umarmte ihn.
«Ich hätte mir gewünscht, dass die Zukunft für dich anders verlaufen würde», sagte er. «Aber die Dinge lassen sich nicht aufhalten.»
Beide nahmen an dem kleinen Tisch Platz.
«Du wirst eine lange Reise antreten. Diesmal ist es nicht möglich, den Weg zu planen. Du musst über Land reiten, ohne jemanden, der dich führt. Aber ich bin sicher, dass du den Weg findest. Du wirst gen Osten reiten, der Sonne entgegen. Ich habe eine Karte für dich, in der alle großen Orte verzeichnet sind, die du passieren musst. Und dein Bogen wird dich vor allen Gefahren schützen. Du bist als Krieger nahezu unbesiegbar geworden. Das ist jetzt von großem Nutzen.»
«Wohin werde ich gehen?», fragte Johannes.
«Nach Loccum», antwortete Jacques. «Dort am Ende der Welt bist du zu weit weg für die Schergen Philipps. Zudem wird niemand in einem Zisterzienserkloster nach dir suchen.»
«Seltsam», sagte Johannes.
«Was meinst du?»
«Es ist wie ein Kreis, der sich schließt.»
Jacques nickte.
«Du hast recht. Und fast scheint es, als wäre alles schon immer genau so vorherbestimmt gewesen. Wir wissen nicht, ob es gut oder schlecht ist. Du könntest dir ausmalen, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du nicht hättest fliehen müssen. Aber solche Gedanken helfen nicht. Denn du kannst nicht zurück, kannst es nicht ändern. Es gibt für uns immer nur den einen Weg, den wir tatsächlich gehen.»
«Und wenn ich bliebe?»
«Sie würden dich aufgreifen. Und dich in irgendein Kloster stecken, in dem du fernab bist von allem, was du liebgewonnen hast. Die Flucht nach Loccum ist allemal der bessere Weg.»
«Wieviel Zeit bleibt mir noch?»
«Du musst sofort aufbrechen.»
«Und wenn ich mich verabschieden möchte? Von jemandem in dieser Stadt?»
«Tu das nicht. Sie werden erfahren, wen du aufgesucht hast. Sie werden ihn ergreifen und foltern. Und sie werden ihn nicht schonen wie dich, der du als Mönch im Schutze der Kirche stehst. Da sie keinen Templer mehr finden können,
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