Das Vermächtnis des Templers
Unebenheit, jeden Stein, jeden größeren Ast zu reagieren. Immer wenn der Weg besonders gut zu überschauen war, ließ er das Pferd galoppieren. Doch meist war die Route gefährlich und erlaubte nur vorsichtiges Traben.
Gegen Abend kam Johannes an einen Fluss. Aufmerksam betrachtete er den Uferstreifen und entdeckte eine Untiefe, die als Furt dienen konnte. Die Strömung war nicht stark, und so beschloss er, noch vor Sonnenuntergang überzusetzen. In der Mitte des Flusses versanken Reiter und Pferd fast vollständig im Wasser, so dass Johannes kurz überlegte, ob es besser sei zu schwimmen. Doch das Flussbett stieg wieder an, und bald war die andere Seite erreicht.
Unmittelbar am Ufer entdeckte Johannes eine Lichtung. Dorthin führte er sein Pferd, nahm das Gepäck vom Sattel und breitete es auf dem Boden aus. An Weiterreiten war nicht mehr zu denken. Er musste die letzten Sonnenstrahlen nutzen, um seine Habseligkeiten zu trocknen. So rollte er den Mantel aus und entfaltete ihn auf einer Wiese. Gleiches tat er mit dem großen Leinensack, nachdem er zuvor allen Proviant, den Feuerstein, das Messer und die Wasserflasche daraus hervorgeholt hatte. Schließlich rollte er das Tuch aus, in dem sich das Schwert und die Pfeile befanden, und griff nach dem Bogen, den er am Sattel befestigt hatte, hielt ihn gegen das Sonnenlicht und vergewisserte sich, dass das Holz keine Feuchtigkeit gezogen hatte. Dann legte er sich ins Gras und blickte zum Himmel.
Er bemerkte, dass die Wolken nach Osten zogen, ganz so, als wollten sie ihn begleiten. Doch der Wind würde drehen, und dann würden sich die Himmel gegen ihn wenden. Mit Jacques als Begleiter war alles anders gewesen. Der kannte den Weg, wusste um mögliche Gefahren, fand Menschen, die sie freundlich aufgenommen hatten. Nun konnte Johannes nur auf sich selbst bauen und auf all das, was man ihn gelehrt hatte. Dieser Gedanke beunruhigte ihn nicht. Früher oder später hätte er seine Rückreise antreten müssen. Doch es war noch nicht die Zeit zurückzukehren. Was würde jetzt mit den anderen geschehen, mit Jacques, mit Alanus, mit all den Brüdern, die wie er nur die Hoffnung hatten, schneller zu sein als die Ritter des Königs? Und wann würde Marie bemerken, dass er nicht mehr in Laon war, geflohen ohne ein Wort des Abschieds, wie ein Tier, dass die Jäger aufgescheucht hatten?
Johannes erhob sich aus dem Gras, nahm die Flasche, trank einen Schluck, verstaute seinen Proviant im inzwischen wieder getrockneten Leinensack und befestigte ihn am Sattel. Dann nahm er das Schwert, setzte sich an das Flussufer und ließ die Klinge in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne aufblitzen. Das rötliche Licht spiegelte sich auch auf dem Wasser, und für einen Augenblick war es ihm, als würde der Fluss die Farbe in sich aufnehmen und davontragen. Er legte das Schwert vor sich auf den Boden und sandte all sein Fühlen auf die sanften Wellen vor sich, damit der Fluss es ebenfalls davontrug wie das Rot der Sonne. Da war nur mehr dieser eine Augenblick. Johannes sah nicht mehr und hörte nicht mehr. Und es war nichts.
Als er aus der Kontemplation in die Welt zurückkehrte, hatte sich die Sonne über den Horizont gesenkt. Die Sichel des Mondes sandte Licht aus, zu wenig, um zu erkennen, doch genug, um zu erahnen. Ein Geräusch hatte Johannes aufmerken lassen. Da waren die bekannten Stimmen der Vögel gewesen, der leichte Hauch des Windes, der die Blätter bewegte, der Fluss vor ihm, der mit Tausenden von Stimmen flüsterte. Doch plötzlich war da etwas anderes, etwas, das in seinem Rücken jedes unnötige Geräusch vermied.
Johannes wagte nicht, sich umzudrehen. Längst war seine Wachsamkeit zurückgekehrt, längst hatte sich die Willenlosigkeit der Meditation in jene absichtslose Bereitschaft verwandelt, die nötig war, um einen todbringenden Pfeil auszusenden. Doch noch spürte er nicht die Notwendigkeit, den Kampf aufzunehmen. Was immer hinter ihm war, bewegte sich nun nicht mehr. Johannes versuchte zu erahnen, wie weit dieses Wesen noch entfernt war, doch bald gab er das auf. Es war nicht möglich, denn er hörte nichts mehr. Und doch wusste er, dass dort etwas war, das ihn genau beobachtete. Er war bereit. Das Schwert lag direkt vor ihm. Eine schnelle Bewegung war nötig. Zu schnell für das Wesen, das hinter ihm in der Dunkelheit lauerte. Johannes wartete.
Aber der Angriff blieb aus. Atemzug um Atemzug verging. Dann, ebenso plötzlich, wie die Stille eingetreten war, bewegte
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