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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Andreas Marx
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dich die Glut der Sonne erschöpfen? Nichts ist gewiss. Und diese Erfahrung prägt dich über die lange Zeit des Pilgerweges. Da ist kein Augenblick, der nicht von diesem Geist durchdrungen ist. In den Hospizen und Klöstern, die Pilger aufnehmen, beginnt der Tag mit der Frühmesse. Auf dem Weg singst du mit deinen Begleitern Pilgerlieder und betest mit ihnen. Der Jacobsweg ist ein heiliger Weg. Immer wieder kommst du an Orte, die Reliquien beherbergen. Und in den Klöstern, Spitälern und Hospizen lernst du, was Barmherzigkeit ist. All dies verwandelt dich, macht dich allmählich zu einem neuen Menschen.»
«So, wie du deinen Weg schilderst, scheint alles an ihm gut zu sein», sagte der Bauer. «Aber gibt es nicht auch Gefahren?»
«Davon könnte ich Euch einiges erzählen», begann Enrico. «Im Gebirge habe ich oft erlebt, wie Pilger sich verletzt haben, meist beim Abstieg. Dort ist es auch deshalb immer gefährlich, weil du durch enge Schluchten wanderst, die nur gut sind für Räuber, denn man kann nicht ausweichen. Pilger gehen häufig in größeren Gruppen. Das schafft Sicherheit. Aber auch in der Ebene lauern Gefahren. Ich habe Pilger gesehen, die von der Strömung erfasst wurden, als sie eine Furt überqueren wollten. Andere sind umgekommen, als ihre Flussfähre kenterte. Sie konnten nicht schwimmen. Aber die gewöhnlichen Strapazen auf dem Weg sind bereits Prüfung genug. Wenn du dir die Füße wundgelaufen hast, in sengender Hitze ohne Wasser bist, wenn dich im Gebirge ein Schneesturm überrascht: All das sind schlimme Torturen.»
«Würdet Ihr Euch heute noch einmal für diesen Weg entscheiden?», wollte Johannes wissen.
«Gewiss», antwortete Anno. Und dann erzählte er von dem Tag seiner Ankunft in Santiago, von der Straße, die durch die Porta Francígena in die Stadt führte und an der Nordseite der Kirche mündete. Von dem großen Platz mit dem prunkvollen Brunnen, aus dessen Becken sich eine bronzene Mittelsäule erhob, die von vier prächtigen Löwen umgeben war. Von dem Pilgerhospital und dem Atrium, durch das man zum Nordportal der Kirche des heiligen Jacobus gelangte, von dem steinernen Fries mit den lebensgroßen Figuren, auf dem der segnende Christus inmitten der Apostel abgebildet war. Er sprach von der Figur des Jacobus, der umgeben war von Christus zur Linken und König David mit der Harfe zur Rechten. Und noch lebendiger erzählte er von der letzten Station seiner Reise.
«Ich war noch einige Tage lang weiter gen Westen gewandert und hatte das Meer erreicht, das Ende der Welt. Kein Navigator wagt es, mit seinem Schiff zu lange außer Sichtweite der Küste zu kreuzen. Denn wir wissen nicht, was außerhalb ist und was geschieht, wenn wir uns aufs Meer hinauswagen. Lange habe ich auf die Wellen des Ozeans geschaut, habe gesehen, wie die Sonne hier im äußersten Westen unterging. Mir fehlen die Worte, Euch diesen Augenblick zu beschreiben. Es war, als würde sie bis zuletzt gegen ihren Untergang kämpfen. In der Nacht träumte mir, dass sie vielleicht nicht wiederkäme. Denn sie war untergegangen und musste wieder auferstehen, ganz so, wie es unser Herr Jesus Christus getan hatte. Aber dann erhob sich die Sonne im Osten für einen neuen Tag. Und ich lief den Strand entlang und fand, was ich suchte.»
Anno griff in seinen Mantel, holte etwas hervor, das er sorgfältig in ein Tuch gewickelt hatte, und hielt es in die Höhe. Es war eine Muschel, gefunden am Ende der Welt.
    Der Bauer hatte ihnen etwas Proviant mit auf den Weg gegeben und sie herzlich verabschiedet. Sie wanderten weiter Richtung Osten. Johannes gelang es nun auch, mit seinen beiden Begleitern Schritt zu halten.
    Bald zeigte sich, dass Anno die Route gut kannte. Er wusste von den verschiedenen Pilgerwegen, die zum Rhein führten, und viele Städte hatte er dort bereits einmal besucht. Sie würden an diesem Tag einen größeren Ort südlich umgehen und am Abend Trier erreichen. Johannes war beunruhigt, als er hörte, dass in dieser Stadt auch ein Haus der Templer Unterkunft gewährte. Und umso erleichterter nahm er Annos Vorschlag auf, im Haus der Bruderschaft des heiligen Jacobus zu übernachten.
    Unterwegs erzählte Enrico von seiner Reise. Besonders hatte er sich für die Musik der Pilger aus Andalusien begeistern können. Sie sangen ihre Lieder meist zu Ehren der Jungfrau Maria. Dabei wurden sie von Musikanten begleitet, auf Trommeln oder auf hölzernen Instrumenten mit Darmsaiten, die mal gezupft, mal mit Hilfe eines

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