Das Vermächtnis des Templers
Stimme des Jubels noch freudiger vor lauter Wonne.
Anno und Johannes mussten lachen, als Enrico sein Lied beendet hatte. Sie erreichten eine Holzbrücke und überquerten den Fluss. Da es schon sehr spät war, schlug Anno vor, nicht mehr in die Stadt zu gehen und stattdessen ein Quartier außerhalb aufzusuchen. Sie wandten sich flussaufwärts und kamen zunächst an den Ruinen eines großen, verfallenen Gebäudes vorbei. Anno meinte, es wäre vor langer Zeit ein Badehaus gewesen. Johannes erkannte an den Grundmauern, dass dieses Gebäude wohl aus mehreren hohen Hallen bestanden haben mochte, konnte sich aber ansonsten nicht so recht vorstellen, wie es einmal ausgesehen hatte. Dann erblickte er vor sich eine schmucklose Basilika, an die sich südlich ein Langhaus anschloss. Er verstand, dass dies eine Klosteranlage sein musste, und die schlichte Dachkonstruktion der Kirche ließ vermuten, dass sie schon vor langer Zeit erbaut worden war. Anno führte sie zu einer großen Pforte und schlug mit dem Wanderstock dreimal gegen das Holz.
Ein Mönch in weißer Kutte erschien. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich bei den drei fremden Wanderern um Pilger handelte, die friedfertig waren, ließ er sie ein. Johannes musste sein Pferd einem Novizen überlassen, der es in die Stallungen des Klosters führte. Dann folgten sie dem Mönch in den Kreuzgang und betraten auf der gegenüberliegenden Seite das Dormitorium, in dem ihnen ein Schlafplatz zugewiesen wurde. In lateinischer Sprache wandte sich der Mönch an Johannes, erläuterte ihm, dass von den Gästen erwartet werde, die Stundengebete zu besuchen. Nicht ohne Sorge blickte er auf den Bogen, den Johannes mit sich führte, und wies darauf hin, dass sie noch in dieser Nacht vom Abt empfangen würden.
Wenig später ertönte die Glocke und rief zum Gebet. Johannes stand im Kreuzgang, um den Sonnenuntergang zu erleben. In diesen letzten Minuten des Tages war die Welt von klarer Kontur und intensiver Schönheit. Die Wolken erglühten ein letztes Mal rotstrahlend, bevor das Licht allmählich schwächer wurde. Es war die Stunde der Vesper, auf die sich Johannes nun einstimmte. Die Benediktinerbrüder hatten die Arbeit niedergelegt. Nach dem Gottesdienst würden sie die Abendmahlzeit miteinander teilen. Johannes betrachtete die Rasenfläche und die gepflegten Kräuterbeete. Auch hier lehrte die Natur über das Jahr den Kreislauf des Lebens, dachte er erneut. Er betrat das Brunnenhaus, um sich vor dem Gebet zu waschen, und sah, wie sich das flüssige Gold der untergehenden Sonne im Wasser spiegelte. Dieser Anblick konnte ein Segen sein, wenn der Tag erfüllt gewesen war und die Anstrengungen ruhen durften. Es war Zeit, die Lichter anzuzünden.
Auch Enrico und Anno kamen in den Kreuzgang, und gemeinsam betraten sie die Basilika. Die Mönche hatten sich bereits im Chorraum versammelt. Als die drei Gäste zu ihnen getreten waren, stimmten sie den Introitus an. Johannes wusste, dass die Gebete und Gesänge der Vesper den Tag abrunden sollten. Unabhängig davon, welche Erfolge, welche Enttäuschungen man erlebt hatte, nun begann die Zeit, all die widersinnigen Teile eines Tages miteinander zu versöhnen, Vergebung zu erfahren, den Tag, so wie er gewesen war, gehen zu lassen. Und so begann Johannes, sich für die besondere Stimmung dieser Stunde zu öffnen. Gemeinsam sangen sie das Magnificat, den Kern dieses Stundengebets, Worte, mit denen Maria einst Elisabeth begrüßt hatte: Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Gepriesen sei der Herr, denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen.
Als der Abt die Kerze entzünden wollte, Zeichen der Überwindung von Einsamkeit und Verzweiflung, drangen plötzlich Geräusche von außen in den Kirchenraum. Das Wiehern von Pferden war zu hören. Männer schrien durcheinander.
Der Abt hielt inne, bekreuzigte sich, verbeugte sich zum Altar und ging eilig hinaus, gefolgt von den Brüdern, die so sehr vom Geist des Gebetes und der Musik erfüllt waren, dass sie zunächst nicht verstanden, was geschah. Auch Johannes drängte ins Freie.
Etwa zwanzig Reiter hatten sich im Kreuzgang versammelt. Sie alle trugen Schwerter und waren offensichtlich gewaltsam eingedrungen. Noch immer hallten die Hufschläge ihrer Pferde durch den Kreuzgang. Ohne zu zögern, ging der Abt auf einen der Männer zu, der als einziger über seinem schwarzen Umhang ein Kettenhemd trug und offensichtlich die
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