Das Vermächtnis des Templers
Wanderer», erwiderte Johannes. «Wohin geht Ihr?»
«Erkennt Ihr das nicht?», erhielt er zur Antwort.
Jetzt erst hatte er die Möglichkeit, die Männer genauer zu betrachten. Sie unterschieden sich äußerlich nur wenig voneinander: Beide trugen einen ärmellosen Mantel, einen Hut mit breiter Krempe und hatten sich Trinkflasche und Proviantsack um die Schulter gehängt. Ihre Schuhe waren alt, und auf den zweiten Blick konnte man erkennen, dass ihre Hosen und Hemden schon mehrmals geflickt wurden. Ihre Gesichter waren von der Sonne gebräunt. Der eine Mann hatte tiefschwarzes Haar, während der andere schon fast ergraut war. Johannes bemerkte, dass diese beiden Wanderer jeweils eine silberne Muschel an der Stirnseite ihres Hutes befestigt hatten.
«Ich hörte vom Zeichen der silbernen Muschel in einer Herberge», sagte er.
«Dann kennt Ihr ja unseren Weg.»
«Offenbar zieht Ihr nicht ins Heilige Land.»
Die beiden sahen sich erstaunt an.
«Wenn Ihr Jerusalem meint, so habt Ihr recht. Aber es gibt ein neues Jerusalem. Ihr seid Mönch. Solltet Ihr noch nichts von San Jaco gehört haben?»
Johannes war vom Pferd gestiegen und hielt es an den Zügeln.
«Es gibt einen Pilgerort, weit entfernt, am Ende der Welt. Ich las darüber.»
«Dorther kommen wir. Mein Name ist Anno von Sponheim. Dies ist Enrico Albani. Seine Heimat ist Genua, aber er hat sich entschlossen, auf der Via Lemovicensis in den Norden zu wandern. Und was ist Euer Ziel?»
Johannes war überrascht von der Offenheit des Mannes, hielt es aber für besser, seine wahren Absichten nicht preiszugeben.
«Mein Orden hat mich auf eine lange Reise geschickt. Ich komme aus Reims.»
«Dann seid Ihr noch nicht lange unterwegs», sagte Anno. «Reims. Ein beschauliches Plätzchen. Wir waren vor drei Tagen dort.»
Er stutzte, als er den Bogen bemerkte, den Johannes am Sattel befestigt hatte.
«Ihr seht nicht aus wie ein Straßenräuber», fuhr er fort. «Wenn Ihr Euch uns anschließen wollt, so seid Ihr willkommen.»
Johannes nickte. Er bot den beiden an, ihr Gepäck auf das Pferd zu laden, was sie dankbar annahmen. Dann wanderten sie gemeinsam weiter durch die Felder. Johannes musste feststellen, dass die beiden Pilger einen sehr schnellen Schritt hatten. Es fiel ihm schwer, sich ihrem Tempo anzupassen, doch die beiden hatten Mitleid mit ihrem neuen Begleiter und legten öfter Pausen ein. Gegen Abend fanden sie nahe des Weges einen Gutshof. Der Bauer war zunächst überrascht, als er die zwei Pilger, den Mönch und das Pferd erblickte, doch dann hieß er sie willkommen, erlaubte ihnen, im Stall zu übernachten, und brachte Brot und Wasser. Auch für das Pferd sorgte er. Als die Sonne unterging, saßen sie gemeinsam vor der großen Scheune und blickten über die Felder zum Horizont.
«Es ist ein schönes Gefühl», sagte Anno, «überall in der Welt willkommen zu sein.»
Enrico stimmte ihm zu und blickte den Bauern dankbar an.
«Unsereins kommt nicht weit herum», sagte der. «Erzählt ein wenig von dem, was Ihr erlebt habt.»
«Ich bin jetzt drei Jahre unterwegs», sagte Enrico. «Sicher. Räuber haben mich überfallen und ausgeraubt. Mehr als einmal. Aber im Grunde sind die Menschen gut. Sie halten sich an die Worte unseres Herrn und geben dem Pilger Essen, Trinken und eine Bleibe für die Nacht, so wie Jesus es gelehrt hat.» «Bislang begegneten mir nur Pilger, die nach Jerusalem reisten», sagte Johannes. «Sie nahmen den langen Weg auf sich, um Buße zu tun oder für ihr Seelenheil zu beten. Wenn sie zu Rittern wurden, halfen sie Pilgern auf ihrem Weg. Doch Euer Ziel scheint ein anderes zu sein.»
«Es ist nicht immer möglich, Ritter zu werden», sagte Enrico. «Eine böse Krankheit hat meine Familie hinweggerafft. Ich habe damals alles verloren, was mir lieb war. Allein, dass ich am Leben blieb, war ein Wunder, und ich beschloss, dem Herrn zu danken. Doch ich war zu arm, um eine Passage ins Heilige Land antreten zu können. Und so machte ich mich auf den Weg ans Ende der Welt, um dem Herrn für mein Leben zu danken.»
«Ja. Die Reise zum heiligen Jacobus ist ein Weg zu Gott», meinte Anno, der den Hut mit der silbernen Muschel nicht ohne Stolz vor sich auf den Boden gelegt hatte. «Es ist ein Bruch mit dem Leben, das du bislang geführt hast. Kaum einen Tag bist du am gleichen Ort. Du weißt heute nicht, wo du morgen sein wirst und was dich erwartet, ob du etwas zu essen erhalten wirst, Wasser oder eine bescheidene Unterkunft. Wird es auf deinem Weg regnen, wird
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