Das Vermaechtnis des Will Wolfkin
feiern, einen Kugelhagel in die Luft. Die großen, schlanken Krieger vollführten Freudentänze und stießen kurze, spitze Jubelrufe aus. Plötzlich fand ich den Anblick dieser Männer, die sich in ihren bunten Kleidern gegen die Sonne abhoben, ganz großartig.
»Haben sie die Minen gelegt?«, fragte ich, aber Emma schüttelte den Kopf.
»Nein. Minen legt die Regierung.«
»Also sind sie die Guten?«, sagte ich und deutete auf die Krieger. Wieder schüttelte Emma den Kopf.
»Nein. Sie sind die Bösen, die sich nur keine Landminen leisten können. Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen.«
Wir warteten, bis die Krieger damit beschäftigt waren, Feuerholz und einzelne Teile der Kuh zusammenzusuchen. Emma meinte, sie würden wahrscheinlich mehrere Tage hierbleiben, um ein Festgelage zu halten und Geschichten zu erzählen.
»Nachts werden sie einander mit Zaubergeschichten erschrecken, Geschichten über Geister, die im Gebüsch lauern und sie beobachten«, sagte Emma.
»Wie absurd!«, sagte ich kopfschüttelnd.
Ohne ein einziges Mal zu fallen, liefen wir durch den von Steinen übersäten Wüstensand. Vereinzelt wuchsen hier dornige Sträucher und Kakteen. Wir fanden zu einem gemeinsamen Rhythmus, liefen Seite an Seite und unsere Schritte waren im Einklang mit unserem Atem. Emma sagte, wenn wir schnurgerade so weiterlaufen könnten, sei ihr Heimatdorf Kapoeta nur wenige Kilometer entfernt, aber wegen der Dinkakrieger würden wir einen Umweg machen müssen. Ungefähr fünfzehn Kilometer.
Kurz vor Sonnenuntergang steuerte Emma ein ausgetrocknetes Flussbett an. Dort gebe es eine Quelle, erklärte sie, an der wir Wasser finden würden. Die »Quelle« erwies sich als kleiner feuchter Fleck, wo der Sand nur etwas dunkler war als rundum. Ich dachte, Emmas Ortskenntnis habe sie im Stich gelassen, aber sie kauerte sich unbeirrt neben die feuchte Stelle nieder und fing an, mit den Händen im Sand zu graben.
»Nicht gerade ein sprudelnder Quell«, sagte ich.
»Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche«, sagte sie. »Hier ist es oft so, dass der Name mehr verspricht, als die Wirklichkeit hergibt.«
» Jerlamar, erhebe dich !«, rief ich der Quelle zu. Ich wollte Emma einfach nur zum Lachen bringen, aber sie lachte nicht. Ich spürte, dass sie versuchte, nicht an Langjoskull zu denken. Zum ersten Mal, seit wir den Gletscher verlassen hatten, dachte ich an Egil und Doktor Felman und fand den Verlust hier in der Wüste nicht weniger schmerzhaft.
Emma schaufelte ein wenig feuchten Sand weg und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Bald hatte sich um unsere Finger herum eine tiefe Pfütze voll rotem, sandigem Wasser gebildet.
»Diese Quelle ist unseren Leuten heilig, weil es hier immer Wasser gibt, egal wie schlimm die Trockenzeit ist«, sagte sie.
Das Wasser war blutrot und breiig vor Sand.
»Manchmal ist es das einzige Wasser, das wir haben«, sagte sie. »Nur das hier. Für hundert Menschen.«
Sie hörte auf zu graben und wurde nachdenklich, als sei ihr dieser Umstand, den sie ihr Leben lang für selbstverständlich gehalten hatte, plötzlich neu. Sie blickte in die Ferne.
»Sieht aus wie Erdbeermarmelade«, sagte ich. »Trinkt man es oder isst man es mit dem Löffel?« Emma lächelte.
»Du musst lernen, es aufzusaugen. So!«, sagte sie, schöpfte ein bisschen Wasser in die hohle Hand und fing an, es aus einem Zentimeter Abstand aufzusaugen.
»Es ist eine Methode, um den Sand nicht zu schlucken. Pass auf …«
Sie gab ein höchst unanständiges Geräusch von sich und ich fing an zu lachen. Da musste sie auch lachen und spuckte alles Wasser aus. Nach einer Weile bekam ich aber den Dreh raus und versuchte, das Wasser aus der hohlen Hand zu saugen. Den Mund hatte ich trotzdem voller Sand, aber immerhin blieb so viel Wasser übrig, dass ich es, ohne zu ersticken, runterschlucken konnte. »Ist es ungefährlich, dieses Wasser zu trinken?«, fragte ich.
»Nein. Aber wir trinken es trotzdem.«
Sie sah zu den fernen Bergen, hinter denen jetzt die Sonne versank. Die kühle Brise war eine große Erleichterung. Ich schlug vor, ein Feuer anzuzünden, aber Emma meinte, dann würden umherziehende Soldatentrupps den Rauch sehen. Wir seien hier genau zwischen den Fronten.
»Und wer kämpft eigentlich gegen wen?«, fragte ich.
»Jeder gegen jeden«, antwortete sie.
Wir hatten nicht geschlafen, seit wir Island verlassen hatten, und waren müde bis in die Knochen. Aber jetzt war die erste Gelegenheit zu einem
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