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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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unter dem Eis gewesen war, solche Angst wie in diesem Augenblick hatte ich dort nie gehabt. Dies war alles andere als ein Entkommen. Dies war echte Gefahr. Und trotzdem lag nicht die kleinste Spur von Angst in Emmas Blick.
    »Was tun wir also?«, fragte ich, während der Wind Sandkörnchen in mein Gesicht trieb.
    »Wir benutzen unseren Verstand«, sagte sie leise.

    Emma fing an, mit Ranken und Dornen zu hantieren, und schien genau zu wissen, was sie tat.
    »Bist du schon mal in ein Minenfeld geraten?«, fragte ich.
    »Schon zwei Mal.«
    »Und wie kommt man wieder raus?«
    »Mit der alten Methode.«
    »Und wie geht die?«
    Sie hatte einen kleinen Zweig von einem Dornenstrauch gebrochen und bückte sich. Vorsichtig hob sie mit dem Zweig das nächste Grasbüschel an und suchte den Boden darunter nach Drähten ab.
    »Manchmal darf man sich hier nur zentimeterweise voranbewegen«, sagte sie.
    Unser Fortkommen war quälend langsam. Wir legten vielleicht einen Meter pro Stunde zurück. Jede nur bekannte Fliegenart tummelte sich auf unseren Gesichtern. Die Dornensträucher ringsum streckten ihre Ranken nach uns aus.
    Und: Wir wussten, dass wir jeden Moment in hundert Stücke zerrissen werden konnten.
    Emma zeigte mir, was ich tun und wonach ich suchen musste, und dann fing auch ich an, nach Drähten Ausschau zu halten. Sie erklärte mir, dass es einem ganz besonders schlauen Erfinder in einem Labor gelungen sei, eine Landmine zu entwickeln, die auf Vibrationen reagiert. Wahrscheinlich hatte es viel Zeit und Mühe gekostet, sich etwas derart Hinterhältiges auszudenken.
    Das bedeutete also, dass man nicht unbedingt auf die Mine treten musste, um sie auszulösen. Es reichte schon, wenn man nur in ihrer Nähe herumlief. Emma sagte, in ihrem Dorf hätten vier Jungen und zwanzig Mädchen durch Landminen ihre Füße oder Beine verloren. Dass mehr Mädchen als Jungen betroffen waren, lag daran, dass normalerweise die Mädchen Wasser holten – Landminen wurden nämlich gewöhnlich an Wasserstellen ausgelegt, weil die Leute dort gern zusammenkamen.
    Die Erfindungen der Menschen sind viel durchtriebener als sämtliche Fel-Künste.
    Wir waren vielleicht drei Meter vorangekommen, als wir ein Geräusch hörten, das mir nichts, Emma offensichtlich aber etwas Schlimmes sagte.
    Wir hörten eine Kuh muhen.
    Das Geräusch kam hinter einem Dornengebüsch hervor, keine drei Meter von uns entfernt. Nach dem Muhen hörte man, wie Pflanzen abgerupft wurden und wie eine Kuh Blätter und Zweige im Maul zermahlte. Entsetzt schnappte Emma nach Luft, sie schien starr vor Schreck.
    »Ist doch nur eine Kuh«, sagte ich. Und Emma drehte sich nach mir um.
    »Nur eine Kuh!«, wiederholte sie.
    »Ja! Was ist dabei? Kühe können dir nichts anhaben.«
    In diesem Augenblick erschien die Kuh vor dem Dickicht. Gelangweilt kaute sie auf den Blättern, Speichel tropfte aus ihrem Maul. Es war eine große Ebukuh, hell wie Sand, mit einem großen Höcker und zwei langen Hörnern. Jetzt, als ich die enorme Größe des Tieres sah, verstand ich Emmas Angst: Kühe können sich nicht auf Zehenspitzen bewegen.
    »Sie wird die Minen mit Sicherheit auslösen – alle«, sagte sie leise.
    Emma straffte die Schultern und wir sahen uns an.
    »Oder wir rennen los?«, sagte ich.
    Wieder muhte die Kuh, es war wie eine neugierige Begrüßung, die wir nicht erwiderten.
    »Ich bin dafür, dass wir wegrennen«, sagte ich.
    Entschlossen nickten wir.
    »In welche Richtung?«, fragte ich. Emma zuckte mit den Schultern.
    »Jede Richtung ist gleich gut.«
    Ich schaute mich um. Der Wind trieb uns den roten Staub in die Gesichter und auch, wenn es kaum zu glauben ist: Trotz der tödlichen Gefahr lächelten wir einander an. Wie als Hinweis darauf, dass die Zeit nicht auf unserer Seite war, trottete die große Ebukuh gleichgültig ein paar Schritte weiter, um die zarten grünen Triebe unter einem Dornenbusch zu inspizieren. Sie machte sich daran, an den unteren Zweigen zu zerren und sie ohne jede Vorsicht zu verschlingen.
    »Dort entlang«, sagte ich und zeigte geradeaus. Emma nickte.
    »Dann also los, Toby Walsgrove«, sagte sie. »Und falls es unser Ende ist …«
    Sie sah auf ihre Füße nieder.
    »Was?«, sagte ich.
    »Du weißt schon.«
    »Ja, ich weiß.«
    Ich holte tief Luft, und dann rannten wir, so schnell wir konnten, durch ein heißes sudanesisches Minenfeld. Was für eine sonderbare Art von Freiheit.

20. Kapitel
    D er Sand brannte nicht an meinen Füßen. Die Dornen in meiner

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