Das Vermaechtnis des Will Wolfkin
spürte, dass ich langsam in Trance fiel, während Doktor Felman sprach. Als ich meine Aufmerksamkeit auf Emma richten wollte, sah ich, dass sie im Rauch verschwunden war.
»Schaut jetzt hoch konzentriert ins Feuer«, sagte Doktor Felman leise. »Mit euren Waffen verbinden sich bedeutungsvolle Visionen.«
Plötzlich explodierte das Feuer in einer Farbkugel, aber völlig lautlos. Der Rauch stieg mir in die Augen, und als ich sie wieder öffnen konnte, erkannte ich im Feuer blaue, grüne und weiße Muster, die sich langsam zu einer Meeresoberfläche zusammenschoben. Ich glitt mit hoher Geschwindigkeit über das Meer, bis ich erst zu einer Felsenklippe und dann zu einem lang gestreckten sandigen Küstenstreifen kam. Die starke Brandung spülte einen Mann an den Strand. Er sah aus, als wäre er tot. Nach einer Weile wurde er von einer weiteren hohen Welle auf einen Felsen getragen. Als die Brandung zurückschwappte, kletterte eine junge Frau in einem langen schwarzen Umhang auf den Felsen und zog den Mann aus dem Bereich der Wellen. Sie bettete ihn auf den flammend roten Sand, und als sie sich niederbeugte, um festzustellen, ob er atmete, fiel ihr langes schwarzes Haar über sein Gesicht. Dann hob sie den Kopf und in diesem Moment schlug der Mann die Augen auf.
Aber er war kein Mensch, sondern ein Fel. Er blickte an dem Gesicht der Frau vorbei zum Himmel empor und sah mich, wie ich über seinem Kopf dahinflog. Ich kreiste wie ein Vogel und neben mir war ein zweiter Vogel, in dem ich Emma erkannte. Ich sah, dass sie blaue Flügelspitzen und blaue gegabelte Schwanzfedern hatte. Wir schwebten beide in einem kräftigen Wind, der uns wie Drachen in der Luft hielt. Als ich wieder hinuntersah auf den Felsen, schaute mir Will Wolfkin direkt in die Augen und lächelte und … die Vision verblasste. Der Bann des Feuers war gebrochen. Ich musste würgen, weil mir dicker Qualm in die Nase stieg, und auch Emma hustete plötzlich. Da erst merkte ich, dass sich unsere Köpfe sozusagen im Feuer befanden.
Als Doktor Felman mit einem Stock die Asche auseinanderharkte, sah ich zwei gold funkelnde Gegenstände. Zuerst konnte ich vor lauter Asche nicht erkennen, was es war, aber dann legte Doktor Felman sie einzeln nebeneinander auf die Glut.
»Ihr müsst euch nun jede Einzelheit eurer Vision merken, weil alles eine Bedeutung hat«, sagte Doktor Felman. »Der Fel, den ihr im Feuer gesehen habt, war der große Will Wolfkin als junger Mann. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Es bedeutet, dass eure Waffen große Macht haben werden. Das Jerlamar wirkt sehr stark in euch, weil ihr so viele Jahre lang geträumt habt und weil Träume dem Reich des Jerlamar angehören.«
Obwohl die Asche glühend heiß war und noch qualmte, konnte ich sehen, dass aus dem einen goldenen Messer zwei identische Messer geworden waren.
»Nun nehmt die Geschenke, die die Heilige Eiche für euch geschmiedet hat«, sagte Doktor Felman feierlich.
Ich sah ihn fragend an.
»Sie sind doch noch heiß!«
»Hebt sie jetzt aus der Glut oder der Augenblick ist verloren. Ihr müsst sie an euch nehmen, solange sie noch mit der Macht der Heiligen Eiche erfüllt sind.«
Ich zögerte.
»Welches ist meins?«, fragte ich.
»Das, welches du nimmst.«
Da streckte Emma die Hand aus, nahm das glühende Messer, das ihr am nächsten lag, und umschloss es fest mit den Fingern. Es schien nicht wehzutun. Doktor Felman schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln, dann wandte er sich an mich und drängte mich mit Blicken zur Eile. Ich zögerte immer noch, aber als Emma mich ansah, spürte ich ihr Einverständnis, dass ich nun die Hälfte der Waffe besitzen sollte, die vorher ihr allein gehört hatte. Es war ihr Geschenk für mich. Da nahm ich das rot glühende Messer und schloss fest die Faust darum.
»Und nun schaut sie an«, sagte Doktor Felman.
Wir öffneten unsere Hände. Ich sah, dass sich das schlichte Messer in meinen Fingern verwandelt hatte. Es war jetzt wunderschön verziert, hatte eine dünne Klinge und einen mit spinnwebfeinen Goldranken ziselierten Griff. An der Stelle, wo Klinge und Griff zusammenkamen, saß zudem ein einzelner Smaragd. Das Messer in Emmas Hand hatte sich mittlerweile in einen glatten, ovalen Goldkiesel von der Größe einer Bohne verwandelt.
Keines der beiden Stücke sah wie eine besonders beeindruckende Waffe aus. Doch dann sah ich staunend, dass sich unter dem Messer in meiner Hand plötzlich ein blutunterlaufenes Tattoo auf meiner Haut abzeichnete. Ein
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