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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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hochtrabenden Feierlichkeit des Meisters der Verwandlung. »Wenn es sein muss, werde ich es natürlich tun. Aber du wirst sehen, dass Magier mit den großen Zaubern äußerst sparsam umgehen. Aus gutem Grund.«
    »Das Gleichgewicht«, meinte sie; alles, was er sagte, erfasste sie auf die schlichteste Weise.
    »Und vielleicht weil diese Künste nicht mehr die Macht haben, die sie einst besaßen«, sagte er. Er wusste selbst nicht, warum er versuchte, ihren Glauben an die Zauberei zu erschüttern; vielleicht weil jede Erschütterung ihrer Kraft, ihrer Ganzheit für ihn von Vorteil war. Es hatte damit angefangen, dass er sie ins Bett kriegen wollte, ein Spiel, das er gern spielte. Aus dem Spiel war eine Art Kampf geworden, den er nicht erwartet hätte, aber auch nicht so ohne weiteres beenden wollte. Er war fest entschlossen, nicht nur zu siegen, sondern sie zu unterwerfen. Er konnte nicht zulassen, dass sie ihn unterwarf. Er musste ihr und sich selbst beweisen, dass seine Träume ohne Bedeutung waren.
    Ihres spröden Wesens überdrüssig, hatte er ziemlich bald einen Verführungszauber über sie gewirkt, der ihn beschämte, noch während er es tat, obgleich er wusste, dass er sehr zuverlässig war. Er wob ihn um sie, während sie bezeichnenderweise ein Kuhhalfter ausbesserte. Das Ergebnis war nicht der hingebungsvolle Eifer, den er bei anderen Mädchen in Havnor und Thwil er zielt hatte. Schwebender Drache war sehr still und missmutig. Sie behelligte ihn nicht länger mit ihren endlosen Fragen über Rok und gab auch keine Antwort, wenn er mit ihr redete. Als er sich ihr sehr vorsichtig näherte und ihre Hand nahm, stieß sie ihn mit einem Schlag auf den Kopf zurück, von dem ihm schwindlig wurde. Er sah, wie sie aufstand und wortlos den Pferdestall verließ; ihr hässlicher Lieblingshund trottete hinter ihr her.
    Sie schlug den Weg zum alten Haus ein. Sobald ihm die Ohren nicht mehr dröhnten, schlich er hinter ihr her, in der Hoffnung, dass der Zauber wirken und dies nur ihre besonders ungeschliffene Art sein möge, ihn zu ihrer Bettstatt zu führen. Als er näher zum Haus kam, hörte er das Klirren von Geschirr. Der Vater, der Trunkenbold, kam herausgetorkelt und schaute verängstigt und verwirrt drein, gefolgt von Schwebender Draches barscher Stimme: »Raus aus dem Haus, du besoffener, kriechender Verräter! Du widerwärtiger, schamloser Wüstling!«
    »Sie hat mir meinen Becher weggenommen«, sagte der Meister von Iria zu dem Fremden, winselnd wie ein Welpe, während seine Hunde um ihn herum jaulten. »Sie hat ihn zerschlagen.«
    Elfenbein ging. Zwei Tage lang ließ er sich nicht blicken. Am dritten Tag ritt er probeweise auf dem Pfad an Alt-Iria vorbei und sie kam ihm entgegengelaufen. »Es tut mir Leid, Elfenbein«, sagte sie und sah mit ihren rauchigen, orangefarbenen Augen zu ihm auf. »Ich weiß nicht, was da neulich über mich gekommen ist. Ich war wütend. Aber nicht auf dich. Ich bitte dich um Verzeihung.«
    Gnädig verzieh er ihr. Er versuchte nie wieder einen Liebeszauber an ihr.
    Bald, dachte er nun, würde er keinen mehr brauchen. Er würde wirkliche Macht über sie haben. Denn endlich hatte er begriffen, wie man sie bekam. Sie hatte sich in seine Hände begeben. Ihre Stärke und ihre Willenskraft waren erschreckend, doch zum Glück war sie dumm, er jedoch nicht.
    Birke schickte einen Wagen mit sechs Fass eines zehn Jahre alten Fanier nach Kembermünde hinunter, den der dortige Weinhändler bei ihm bestellt hatte. Er war froh, seinen Zauberer als Wächter mitschicken zu können, denn der Wein war kostbar, und obwohl der junge König rasch für Ordnung sorgte, gab es immer noch Räuberbanden auf den Straßen. So verließ Elfenbein Westpfuhl auf einem großen vierspännigen Pferdefuhrwerk; langsam holperte das Gefährt dahin und er ließ die Beine baumeln. Unten am Jackass-Hügel erhob sich eine verlotterte Gestalt vom Straßenrand und bat darum, mitfahren zu dürfen. »Ich kenne dich nicht«, rief der Fuhrmann und hob seine Peitsche, um den Fremden zu verscheuchen, doch Elfenbein kam nach vorn und sagte: »Lass den Kerl mitfahren, guter Mann. Er wird nichts Böses tun, solange ich dabei bin.«
    »Dann behaltet ihn im Auge, Meister«, erwiderte der Fuhrmann.
    »Das werde ich«, meinte Elfenbein und winkte Schwebender Drache zu. Sie war mit Dreck verschmiert und mit einem alten Bauernkittel, Hose und einem schmierigen Filzhut auf dem Kopf verkleidet. Sie winkte nicht zurück und spielte ihre Rolle weiter,

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