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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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Hexe grimmig. »Alles kann gefährlich sein, schon recht, aber sich mit Zauberern einzulassen am meisten.«
    Aus Liebe, Respekt und Vertrauen war Schwebender Drache nicht imstande, eine Warnung von Rose in den Wind zu schlagen; doch sie war unfähig, Elfenbein als gefährlich zu betrachten. Sie verstand ihn nicht, aber der Gedanke, ihn zu fürchten, wollte ihr nicht in den Kopf. Sie versuchte, respektvoll zu sein, aber es gelang ihr nicht. Sie dachte, er sei schlau und ziemlich gut aussehend, aber sie dachte nicht viel an ihn, außer im Zusammenhang mit dem, was er ihr erzählte. Er wusste, was sie wissen wollte, und nach und nach offenbarte er es ihr. Es war nicht immer unbedingt das, was sie hatte wissen wollen, aber sie wollte stets noch mehr wissen. Er war geduldig mit ihr, und sie war dankbar dafür, denn sie wusste, dass er viel schneller war als sie. Manchmal lächelte er über ihre Unwissenheit, aber nie lachte er sie aus oder machte ihr Vorwürfe. Wie die Hexe antwortete er auf eine Frage gern mit einer Gegenfrage. Aber die Antworten auf Roses Fragen waren immer etwas, was sie schon kannte, während die Antworten auf seine Fragen Dinge waren, die sie sich nie hätte träumen lassen; sie war überrascht, unangenehm, ja sogar schmerzlich überrascht, da all ihre Überzeugungen über den Haufen geworfen wurden.
    So wurde es ihre Gewohnheit, sich Tag für Tag im Pferdestall von Iria zu treffen; sie fragte ihn und er antwortete ihr, wenngleich immer widerstrebend, immer nur bruchstückhaft; er nahm seine Meister in Schutz, fand sie, war darauf bedacht, das strahlende Bild von Rok zu verteidigen, bis er eines Tages ihrem Drängen nachgab und endlich kein Blatt mehr vor den Mund nahm.
    »Es gibt dort gute Männer«, berichtete er. »Groß und weise war der Erzmagier gewiss. Aber er ist fort. Und die Meister... Manche halten ihr Wissen zurück, vertiefen sich in Geheimwissen, suchen nach immer neuen Formen und noch mehr Namen, gebrauchen ihr Wissen aber zu gar nichts. Andere verbergen ihren Ehrgeiz unter dem grauen Mantel der Weisheit. Rok ist nicht mehr der Ort, wo die Macht der Erdsee beheimatet ist. Das ist jetzt der Hof in Havnor. Rok lebt von seiner großen Vergangenheit, durch tausend Zauber abgeschirmt von der Gegenwart. Und was ist innerhalb dieser Zau-bermauem? Widerstreitende Ziele und Vorstellungen, Angst vor allem Neuen, Angst vor jungen Männern, welche die Macht der alten herausfordern könnten. Und in der Mitte ist nichts. Ein leerer Hof. Der Erzmagier wird nie zurückkehren.«
    »Woher wisst Ihr das?«, flüsterte sie.
    Er schaute streng drein. »Der Drache hat ihn mitgenommen.«
    »Habt Ihr das gesehen? Das habt Ihr wirklich gesehen?« Sie rang die Hände bei der Vorstellung. »Aber auch wenn er nicht mehr dort ist«, fuhr sie nach einer Weile fort, »so sind einige der Meister doch bestimmt weise?«
    Als er aufsah und sprach, geschah dies mit dem Anflug eines melancholischen Lächelns. »Mit dem ganzen Zauber und Wissen der Meister ist es bei Licht betrachtet auch nicht so weit her. Käufliche Tricks, wunderbare Täuschungen. Aber die Leute wollen das nicht glauben. Sie wollen Geheimnisse und Illusionen. Und wer könnte ihnen das zum Vorwurf machen? Im Leben der meisten gibt es so wenig Schönes oder Kostbares.«
    Wie um das, was er sagte, zu untermalen, hatte er ein Stückchen Ziegelstein vom Boden aufgelesen und warf es in die Luft, und als er weitersprach, flatterte es mit zarten blauen Flügeln als Schmetterling um ihre Köpfe. Er streckte den Finger aus und der Schmetterling ließ sich darauf nieder. Dann schüttelte er den Finger und der Schmetterling fiel zu Boden, ein Stein.
    »In meinem Leben gibt es nicht viel von Wert«, sagte sie und blickte zu Boden. »Alles, was ich kann, ist den
    Gutshof zu führen, zu versuchen, aufrichtig zu bleiben und die Wahrheit zu sagen. Aber wenn ich wüsste, dass auch auf Rok alles nur Tricks und Lügen sind, würde ich diese Männer hassen, weil sie mich betrügen, weil sie uns alle betrügen. Das können keine Lügen sein. Nicht alles. Der Erzmagier ist wirklich in das Labyrinth der Grauen Männer gegangen und ist wiedergekehrt mit dem Friedensring. Er ist wirklich mit dem jungen König in den Tod gegangen, hat den Spinnenmagier besiegt und ist wiedergekehrt. Wir wissen das aus den Worten des Königs selb st. Sogar bis hierher sind Har fenspieler gekommen und haben davon gesungen und ein Geschichtenerzähler hat es erzählt...«
    Elfenbein nickte ernst.

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