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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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nach Süden fuhr und einen Zauberer und seinen Lehrling zur Insel der Weisen mitnehmen könnte. Bald schon fanden sie ein schweres Frachtschiff, das auf dem Weg nach Wathort war und dessen Kapitän bereit war, den Zauberer umsonst und den Lehrling für den halben Preis mitzunehmen. Allein der halbe Preis war schon die Hälfte des Käsgelds, aber sie würden dafür den Luxus einer Kabine genießen, denn die Seeotter war ein Zweimaster mit Kabinendeck.
    Als sie mit dem Schiffsmeister redeten, kam ein Wagen auf das Kai gefahren; sechs vertraute Weinfässer wurden abgeladen. »Das sind unsere«, meinte Elfenbein und der Schiffsmeister erklärte: »Unterwegs nach Hort«; und Schwebender Drache sagte leise: »Aus Iria.«
    Da schaute sie aufs Land zurück. Es war das einzige Mal, dass er sie zurückschauen sah.
    Der Wettermacher des Schiffs kam an Bord, kurz bevor sie losfuhren, kein Zauberer aus Rok, sondern ein wettergegerbter Kerl in einem verschlissenen Seemannsmantel. Elfenbein ließ seinen Stab ein wenig aufglühen, als er ihn begrüßte. Der Zauberer maß ihn von oben bis unten und sagte: »Ein Mann macht das Wetter hier auf diesem Schiff. Ich bin das nicht, ich bin weg.«
    »Ich bin bloß ein Passagier, Meister Beutelmann. Ich lasse die Winde gern in Eurer Hand.«
    Der Zauberer sah Schwebender Drache an, die stocksteif dastand und schwieg.
    »Gut«, sagte er, und das war das letzte Wort, das er zu Elfenbein sagte.
    Während der Reise hingegen redete er öfter mit Schwebender Drache, was Elfenbein irgendwie unangenehm war. Ihre Dummheit und ihre Unerfahrenheit mochten sie in Gefahr bringen und somit auch ihn. Worüber redeten sie und der Beutelmann?, fragte er und sie antwortete: »Was aus uns allen wohl wird.«
    Er starrte sie an.
    »Aus uns allen. Aus Weg und Felkweg und Havnor und Wathort und Rok. Aus all den Menschen auf den Inseln. Er sagt, als König Lebannen letzten Herbst gekrönt werden sollte, habe er nach dem alten Erzmagier auf Gont geschickt, damit er ihn kröne, aber er ist nicht gekommen. Und einen neuen Erzmagier gab es nicht. Also nahm er die Krone und krönte sich selbst. Und einige sagen nun, das sei falsch und er sitze zu Unrecht auf dem Thron. Andere aber meinen, der König selbst sei der neue Erzmagier. Aber er ist kein Magier, nur ein König. Deshalb glauben wieder andere, dass die finstren Zeiten wiederkehren werden, als es keine Gerechtigkeit gab und Magie zu bösen Zwecken genutzt wurde.«
    Nach einer Pause fragte Elfenbein: »All das sagt der Wettermacher? «
    »Ich glaube, das wird allgemein so geredet«, erwiderte Schwebender Drache in ihrer ernsten Schlichtheit.
    Der Wettermacher verstand jedenfalls sein Handwerk. Die Seeotter flog nach Süden; sie trafen auf sommerliche Böen und raue See, nie aber gerieten sie in einen Sturm oder widrige Winde. Sie entluden Fracht, nahmen neue Fracht auf in den Häfen an der Nordküste von O, in Ilien, Leng, Kamery und O-Hafen und steuerten dann Richtung Westen, um die Passagiere nach Rok zu bringen. Elfenbein fühlte sich nun etwas flau im Magen, denn er wusste, wie gut bewacht Rok war. Er wusste, dass weder er noch der Wettermacher irgendetwas ausrichten konnten, wenn der Zauberwind gegen sie blasen sollte. Und wenn es so wäre, würde Schwebender Drache dann fragen, warum der Wind gegen sie blies?
    Er war froh, als er merkte, dass dem Zauberer auch etwas mulmig zumute war, dass er beim Steuermann stand und den Hauptmast im Auge behielt, um beim geringsten Anzeichen von Westwind die Segel einholen zu lassen. Aber der Wind wehte gleichmäßig von Norden. Ein Donnergrollen kam auf diesem Luftstrom dahergepoltert, und Elfenbein ging hinunter in seine Kabine, Schwebender Drache aber blieb auf Deck. Sie habe Angst vor Wasser, hatte sie ihm erzählt. Sie konnte nicht schwimmen und hatte gesagt: »Ertrinken muss schrecklich sein. Nicht die Luft zu atmen...« Ihr hatte geschaudert bei dem Gedanken. Es war die einzige Angst vor irgendetwas, die sie je zu erkennen gegeben hatte.
    Aber sie mochte die niedrige, enge Kabine nicht und blieb den ganzen Tag über an Deck; in warmen Nächten schlief sie auch oben. Elfenbein hatte nicht versucht, sie in die Kabine zu zwingen. Er wusste, dass Zwang nichts brachte. Um sie zu bekommen, musste er sie meistern; und genau das würde er, sobald sie endlich Rok erreichten.
    Er kam wieder an Deck. Es klarte auf, und als die Sonne unterging, rissen die Wolken im Westen ganz auf und ließen hinter einer Hügelkuppe einen

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