Das Vermächtnis von Erdsee
welche aus Horn? Ich würde eine dieser kleinen Samtmützen gegen drei oder vier Knöpfe eintauschen. Oder eine dieser Rollen Band; schaut euch doch nur die Farbe an. Sehr hübsch zu Eurem Haar, Mistress! Oder Papier oder Bücher. Unsere Meister in Orrimy suchen solche Sachen, wenn Ihr vielleicht welche beiseite gelegt habt.«
»Oh, du bist ein hübscher Mann«, sagte lachend die Frau, die als Erste gesprochen hatte, und hielt das rote Band an ihren Zopf. »Ich wollte, ich hätte etwas für dich.«
»Ich bin nicht so verwegen, um einen Kuss zu bitten«, sagte Medra, »aber vielleicht eine offene Hand?«
Er machte das Zeichen; sie sah ihn einen Augenblick lang an. »Das ist leicht«, sagte sie leise und erwiderte das Zeichen, »aber nicht immer sicher, unter Fremden.«
Er zeigte weiter seine Waren und scherzte mit den Frauen und Kindern. Niemand kaufte etwas. Sie starrten die Sachen an, als ob es Schätze wären. Er ließ sie schauen und betasten, so viel sie wollten; er duldete sogar, dass eines der Kinder einen kleinen Spiegel aus poliertem Messing stahl, sah wortlos zu, wie er unter dem zerlumpten Hemdchen verschwand. Schließlich meinte er, er müsse weiterziehen, und die Kinder huschten davon, als er seinen Sack wieder zuschnürte.
»Ich habe eine Nachbarin«, sagte die Frau mit dem schwarzen Zopf, »die ein paar Papiere haben könnte, wenn es das ist, was du suchst.«
»Beschrieben?«, fragte Corvid, der gelangweilt auf der Brunnenmauer gesessen hatte. »Mit Zeichen darauf?«
Sie musterte ihn von oben bis unten. »Mit Zeichen darauf, ja, Sir«, sagte sie. Und dann in anderem Ton zu Seeschwalbe: »Wenn du mit mir kommen willst, sie wohnt gleich hier. Und obwohl sie bloß ein kleines Mädchen ist und arm obendrein, sage ich dir, Hausierer, sie hat eine offene Hand. Die vielleicht nicht alle von uns haben.«
»Von dreien drei«, sagte Corvid und deutete das Zeichen an. »Also spar dir deine giftigen Bemerkungen.«
»Oh, mit denen solltet Ihr sparsam sein, Sir. Wir sind arme Leute hier. Und unwissend«, sagte sie mit einem Blitzen in den Augen und führte sie weiter.
Sie brachte sie in ein Haus am Ende einer Straße, das halb leer war, heruntergekommen, Fensterrahmen und Steine aus der Fassade herausgebrochen. Sie überquerten einen Hof mit einem Brunnen. Sie klopfte an eine Seitentür und ein Mädchen öffnete ihr.
»Ah, eine Hexenküche«, sagte Corvid beim Geruch nach Kräutern und aromatischen Düften, der ihnen entgegenschlug, und wich zurück.
»Die Küche einer Heilerin«, entgegnete ihre Führerin. »Ist sie wieder krank, Dora?«
Das Mädchen nickte, sah Seeschwalbe an, dann Corvid. Es mochte dreizehn oder vierzehn sein, kräftig gebaut und doch mager, mit einem mürrischen, stieren Blick.
»Das sind Männer von der Hand, Dora, der eine klein und hübsch, der andere groß und stolz, und sie sagen, sie sind auf der Suche nach Papieren. Ich weiß, dass ihr welche hattet, obwohl jetzt vielleicht nicht mehr. Sie haben nichts in ihrem Sack, was ihr brauchen könnt, aber vielleicht zahlen sie ja das Gewünschte mit Elfenbein, nicht wahr?« Sie wandte ihren strahlenden Blick Seeschwalbe zu und er nickte.
»Sie ist sehr krank, Rasch«, sagte das Mädchen. Wieder sah sie Seeschwalbe an. »Du bist kein Heiler?« Das war eine Anklage.
»Nein.«
»Sie ist es«, sagte Rasch. »Wie ihre Mutter und die Mutter ihrer Mutter. Lass uns rein, Dora, oder wenigstens mich, damit ich mit ihr reden kann.« Das Mädchen ging wieder hinein und Rasch sagte zu Medra: »Es ist die Schwindsucht, woran ihre Mutter stirbt. Kein Heiler konnte ihr helfen. Sie aber konnte die Skrofeln heilen und durch Berührung den Schmerz lindern. Sie war ein Wunder, und Dora hat zu Recht gebeten, ihre Nachfolge antreten zu dürfen.«
Das Mädchen bedeu tete ihnen hereinzukommen. Cor vid zog es vor, draußen zu warten. Der Raum war lang und hoch, mit Spuren früherer Eleganz, aber sehr alt und sehr arm. Überall hingen getrocknete Kräuter und all die Gebrauchsgegenstände der Heiler, wenn auch in einer gewissen Ordnung angebracht. Bei dem gemauerten Kamin, wo ein Büschel süßer Kräuter brannte, stand ein Bett. Die Frau darin wirkte so hinfällig, dass sie im trüben Licht nur aus Knochen und Schatten zu bestehen schien. Als Seeschwalbe näher kam, setzte sie sich zum Sprechen auf. Ihre Tochter hob ihren Kopf auf dem Kissen, und als Seeschwalbe ganz nah war, hörte er sie sagen: »Zauberer... Nicht zufällig.«
Als Frau der Macht wusste
Weitere Kostenlose Bücher