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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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müsse ein Mann sein. Und keusch. Meine Schwester hat mir gestern Abend erzählt, sie, Ennio und die Zimmerleute hätten angeboten, einen Teil des Hauses nur für sie zu bauen, oder sogar ein eigenes Haus, damit sie sich rein halten können. Das ist nicht meine Welt, es ist Waris' Welt. Aber sie haben abgelehnt. Sie wollen, dass die Regel von Rok Männer und Frauen voneinander trennt, und entscheiden sollen über alles die Männer.
    Welchen Kompromiss können wir da mit ihnen schließen? Warum sind sie gekommen, wenn sie nicht mit Frauen Zusammenarbeiten wollen?«
    »Die Männer, die dies nicht wollen, sollten wir wegschicken.«
    »Wegschicken? Im Streit? Damit sie den Herren von Wathort oder Havnor erzählen, dass die Hexen von Rok einen Sturm zusammenbrauen?«
    »Ich vergaß - ich vergesse immer wieder...«, lenkte er niedergeschlagen ein. »Ich vergaß die Gefängnismau-em. Ich bin nicht so dumm, wenn ich draußen bin... Wenn ich hier bin, kann ich einfach nicht glauben, dass es ein Gefängnis ist. Aber dort draußen, ohne dich, erinnere ich mich daran... Ich will nicht hinaus, aber ich muss. Ich will nicht zugeben, dass alles hier falsch sein oder misslingen kann, aber ich muss... Ich gehe diesmal und ich ziehe nach Norden, Elehal. Aber wenn ich wiederkomme, bleibe ich. Was ich suche, finde ich hier. Habe ich es nicht schon gefunden?«
    »Nein«, sagte sie, »nur mich. Aber im Hain, da gibt es viel zu suchen und zu finden. Das könnte sogar dich von deiner Unstetigkeit abbringen. Warum nach Norden?«
    »Um die Hand nach Enlad und Ea auszustrecken. Dort bin ich noch nie gewesen. Wir wissen nichts über ihre Art der Zauberkunst. Enlad, Sitz der Könige, und die strahlende Ea, die älteste der Inseln! Sicher finden wir dort Verbündete.«
    »Aber dazwischen liegt Havnor«, wandte sie ein.
    »Ich werde Havnor nicht ansteuern, meine Liebe. Ich habe vor, es zu umfahren. Auf dem Wasser.« Er konnte sie immer zum Lachen bringen; er war der Einzige, der dies vermochte. Wenn er fort war, war sie ruhig und ausgeglichen, da sie gelernt hatte, wie sinnlos Ungeduld bei der Arbeit ist, die mm einmal getan werden muss. Manchmal zog sie immer noch ein finsteres Gesicht, manchmal lächelte sie, aber sie lachte nicht. Wann immer möglich, ging sie allein in den Hain, wie sie es immer getan hatte. Aber in diesen Jahren des Hausbaus und der Gründung der Schule konnte sie ihn nur selten aufsuchen, und sogar dann nahm sie öfter ein paar Schüler mit, um ihnen den Weg durch den Wald und die Form der Blätterschatten zu zeigen; denn der Meister Formgeber war sie.
    In diesem Jahr trat Seeschwalbe seine Reise spät an. Er hatte einen fünfzehnjährigen Jungen bei sich, Mot, einen viel versprechenden Wettermacher, der Übung auf der offenen See brauchte, und Sava, eine Frau von sechzig, die vor sieben oder acht Jahren mit ihm nach Rok gekommen war. Sava war auf Ark eine der Frauen von der Hand gewesen. Obwohl sie überhaupt keine magische Begabung hatte, wusste sie doch so gut, wie man zwischen den Menschen in einer Gruppe Vertrauen stiftete und sie zur Zusammenarbeit brachte, dass sie auf Ark als weise Frau galt - und jetzt auch auf Rok. Sie hatte Seeschwalbe gebeten, sie mitzunehmen, damit sie ihre Familie Wiedersehen konnte, Mutter, Schwester und zwei Söhne; er würde Mot bei ihr lassen und sie beide wieder nach Rok zurückbringen. So fuhren sie bei schönem Sommerwetter Richtung Nordosten durch das Innenmeer, und Seeschwalbe bat Mot, die Segel mit etwas Zauberwind anzutreiben, damit sie auch sicher vor dem Langtanz in Ark einträfen.
    Als sie an der Insel entlang fuhren, hüllte er selbst die Hoffnung in einen Täuschungszauber ein, damit sie nicht wie ein Boot erschien, sondern wie ein treibender Holzstamm; denn in diesen Gewässern wimmelte es von Piraten und Losens Sklavenhändlern.
    Von Sesesry an Arks Westküste aus, wo er seine Passagiere abgesetzt und den Langtanz getanzt hatte, segelte er durch die Meerenge von Ebavnor hinauf, in der Absicht, im Westen die Südküste von Omer anzusteuern. Den Täuschungszauber um das Boot ließ er bestehen. Bei kräftigem Nordwind sah er in der leuchtenden Klarheit des Hochsommers hoch über der blauen Meerenge und dem imbestimmten Blaubraun der Felder den langen weißen Kamm des Berges Onn.
    Schau, Medra, schau!
    Das war Havnor, sein Land, wo seine Leute lebten; ob sie tot oder am Leben waren, wusste er nicht; wo Anieb lag, dort oben am Berg. Er war nie wieder hierher gekommen, war nie

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