Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
Vom Netzwerk:
sie ihm ein Kind mitgaben, damit es ihm besser ergehe, oder es ihm verkauften, damit es für ihn arbeitete, zahlte er in echtem Elfenbein; wenn sie ihm das Kind aber als Sklave verkauften, bezahlte er in Gold und war am nächsten Tag verschwunden, wenn das Gold wieder zu Kuhmist geworden war.
    Er kam weit herum im Archipel, sogar bis in den Ostbereich, und nie fuhr er zweimal in dieselbe Stadt oder auf dieselbe Insel, oder erst nach Jahren. Und doch begann man von ihm zu reden. Der Kindesentführer wurde er genannt, ein gefürchteter Zauberer, der die Kinder auf seine eisige Insel im Norden verschleppte und ihnen dort das Blut aussaugte. Immer noch erzählt man sich auf Weg und Felkweg vom Kindesentführer, um das Misstrauen gegenüber Fremden zu schüren.
    Viele Menschen von der Hand wussten damals, was auf Rok vorging. Junge Leute wurden geschickt. Männer und Frauen kamen, um zu lernen und zu lehren. Viele von ihnen hatten es schwer, Rok zu erreichen, da die Zauber, welche die Insel verbargen, stärker waren denn je; sie erschien nur wie eine Wolke oder ein Felsenriff in der stürmischen See. Und der Rok-Wind wehte, der jedes Schiff von der Thwil-Bucht femhielt, es sei denn, ein Zauberer war an Bord, der diesen Wind ab wenden konnte. Trotzdem kamen sie, und im Lauf der Jahre benötigte die Schule ein größeres Haus, als es in Thwil zu finden war.
    In der Erdsee bauten Männer die Schiffe und Frauen die Häuser, so war es der Brauch; aber beim Bau eines so großen Gebäudes arbeiteten Frauen und Männer zusammen, da sie auch nicht den Aberglauben der Bergleute teilten, die die Männer von den Bergwerken fem-hielten, oder den der Schiffsbauer, die den Frauen verboten, beim Anlegen eines Kiels zuzuschauen. Männer und Frauen von herausragender Macht errichteten das Großhaus von Rok. Sein Eckstein wurde auf einem Hügel gesetzt, wo eine Quelle entsprang, oberhalb von Thwil zum Rokkogel hin. Seine Wände waren nicht nur aus Stein und Holz erbaut, sondern tief auf Magie gegründet und durch mannigfachen Zauber verstärkt.
    Der erste Teil des Großhauses, das errichtet werden sollte, war sein innerster Kern, der Brunnenhof.
    Dort schritten Medra und Elehal miteinander über den weißen Marmorboden, bevor noch ringsum die Mauern errichtet waren. Neben den Brunnen hatte sie eine Eberesche aus dem Hain gepflanzt. Sie sah nach, ob sie gedieh. Der Frühlingswind wehte kräftig vom Rokkogel seewärts und ließ das Wasser des Brunnens zerstieben. Oben auf dem Hügel stand eine kleine Gruppe Menschen: der Zauberer Hega aus O, der einer Gruppe Schülern Illusionstricks beibrachte, Meister Hand wurde er genannt. Das Güldenkraut war verblüht und nur Samen flog durch die Luft. Da waren graue Strähnen in Ambers Haar.
    »So fährst du also wieder«, sagte sie, »und überlässt es uns, diese Sache mit der Regel zu klären.« Ihr finsteres Gesicht war wild wie immer, aber selten war ihre Stimme so scharf gewesen wie jetzt, als sie dies sagte.
    »Wenn du willst, bleibe ich, Elehal.«
    »Ich will, dass du bleibst. Aber du bleibst nicht! Du bist ein Finder, du musst ausziehen, um zu finden. Es ist nur so, dass diese Übereinkunft über die Art - oder die Regel, wie Waris es nennen will - doppelt so viel Arbeit bereitet wie der Bau des Hauses. Und zehnmal so viel Streit verursacht. Ach, könnte ich doch mitkommen! Könnte ich doch einfach mit dir ziehen, einfach so... Ach, wenn du doch nur nicht nach Norden zögest!«
    »Warum streiten wir uns?«, fragte er ziemlich mutlos.
    »Weil wir viele sind! Steck zwanzig oder dreißig Menschen der Macht in einen Raum, und jeder von ihnen wird versuchen, nach seiner Art zu verfahren. Und bring Männer, die immer auf ihre Art verfahren sind, mit Frauen zusammen, die das Gleiche getan haben, und sie werden einander ins Gehege kommen. Und dann gibt es da auch ein paar echte und wirkliche Differenzen zwischen uns, Medra. Die müssen beigelegt werden und das ist nicht leicht. Obwohl ein bisschen guter Willen schon eine Menge ausrichten könnte.«
    »Ist es Waris?«
    »Waris und noch einige Männer. Es sind Männer und das ist ihnen wichtiger als alles andere. Für sie sind die Urmächte etwas Abscheuliches. Und die Macht der Frauen ist ihnen verdächtig, da sie sie in Verbindung mit den Urmächten sehen. Als ob diese Mächte von irgendeinem Sterblichen benützt oder beherrscht werden könnten! Aber sie rücken den Mann an die Stelle, wo für uns die Welt ist. Daher meinen sie, ein echter Zauberer

Weitere Kostenlose Bücher